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Archiv-Artikel

pressschlag Ailtons Meisterschaftsmedaille hat zwei Seiten

„Ich habe gesagt: Ich will das, das und das. Und Rudi Assauer hat gesagt: Ja, ja und ja. Nach 30 Minuten war alles klar“

Erst schien er sich zu weigern, dann zu zieren – und aus der Ferne sah es ein bisschen so aus, als habe Ailton Gonçalves da Silva Angst davor, sich der silbern glänzenden Schale auch nur zu nähern oder gar verdächtige Abdrücke seiner Finger auf ihr zu hinterlassen. Als bei der großen Sause im Bremer Weserstadion Konfetti in die Luft geschossen wurde, flüchtete der Mann, der in ganz Deutschland nur als Ailton bekannt ist, jedenfalls vom Podest der Sieger; und als die Fotografen ihre Bilder vom Meister schossen, postierte er, der in Bremen nur Toni gerufen wird, sich zunächst so weit am Rand, als habe er mit alldem nicht wirklich etwas zu tun. Und dabei lächelte Ailton Gonçalves da Silva, nicht wirklich, aber tapfer, so tapfer, wie nur einer lächelt, der seine Tränen besiegen muss.

Es ist ja auch eine tragische Geschichte: dass einer eine Mannschaft zur Meisterschaft schießt, – und sie dann verlässt. Bei Toni aber ist es noch ein bisschen mehr. Nicht nur, dass er, der „wohl einzige Brasilianer von der Statur eines Schneemanns“ (Süddeutsche Zeitung), mit bisher sagenhaften 28 Toren maßgeblichen Anteil hat an dieser noch immer unglaublichen Tat der Bremer. An der Weser ist Ailton in den sechs Jahren seines Wirkens längst zur Kultfigur geworden, ein Stück lebende Folklore, oder, um nochmals die SZ zu bemühen: das „einzige aktive Vereinsmaskottchen der Liga“. Vor Ailton, so könnte man auch sagen, war Werder Bremen grün und stank nach Fisch – und das war auch schon alles, was man über die langweilige Stadt mit ihrem langweiligen Fußball sagen konnte. Heute, nach Toni, ist Werder immer noch grün, aber es duftet nach: Ailton – und damit nach Jubel, Trubel, verrückten Interviews und noch verrückteren Toren. Bremen ist aufregend geworden, wie sein Fußball, atemberaubend – und damit ist keineswegs der Fischgeruch gemeint, den es schon auch noch gibt, sondern: Ailton. Toni!

Das ist die eine Seite dieser ailtonschen Meisterschaftsmedaille, jene, die nicht frei ist von Sentiment und Tragik. Es ist aber, und das darf man bei alledem nicht vergessen, durchaus auch eine Kehrseite vorhanden. Schließlich verlässt Toni Bremen aus freien Stücken in Richtung Schalke, der Bild hat er gerade nochmal erzählt, warum er das tut: „Die Gehaltsverhandlung ging ratzfatz! Ich habe gesagt: Ich will das, das und das. Und Rudi Assauer hat gesagt: Ja, ja und ja. Nach 30 Minuten war alles klar. So was gefällt mir.“ Und deswegen darf es nicht verwundern, dass es dem ein oder anderen nun gefällt, dass Toni nächste Saison im UI-Cup kicken darf – und eben nicht in der Champions League. Auch wenn es eigentlich traurig ist. FRANK KETTERER