piwik no script img

Archiv-Artikel

press-schlag Unfassbar: Cottbus schießt ein Tor

Fußballexperten sind erfahrungsresistent. Für sie ist die Saison bereits entschieden

In der 13. Minute des fünften Spieltags der 46. Bundesligasaison geschah im Stadion der Freundschaft zu Cottbus das absolut Unfassbare: Es fiel ein Tor. Für Gastgeber Energie. Nicht dass die Mannschaft danach gewonnen hätte. Aber es war das erste Cottbusser Tor der Saison. Wahnsinn, denn es schien allgemein beschlossene Sache, dass Energie Cottbus nie wieder ein Tor schießen würde. Jedenfalls nicht in der ersten Liga. So kann man sich irren.

Fußballfans und -fachleute irren sich gern. Sie neigen nicht zur Vernunft. Nicht dazu, Erfahrungen im Kopf zu behalten. Sie neigen dazu, leidenschaftlich vom Jetzt auf alles zu schließen. Gerade erst hat die Liga richtig Schwung, da steht fest: Cottbus steigt ab. Außerdem: Bielefeld. Weil: Die einen sind gerade Letzter, die anderen Vorletzter. Und ganz oben? Bayern. Wer sonst? Gut möglich, dass Bayern seine siebte Meisterschaft seit 2000 erringt, auch sehr gut vorstellbar, dass Lausitzer und Ostwestfalen lange in den unteren Tabellenregionen stecken, gar einer oder beide in die Zweitklassigkeit entlassen werden. Aber entschieden ist das noch nicht. Und, Überraschung: Bielefeld hat beim fünften Versuch sein erstes Spiel gewonnen. Bielefeld ist jetzt nicht mehr Vorletzter. Neue Abstiegsfavoriten werden gesucht.

Es ist kein Spiel entschieden, wenn nach 15 Minuten das erste Tor fällt. Es ist keine Saison entschieden, wenn man nach fünf Spieltagen die Punkte zählt. Es soll ja sogar Spiele geben, in denen gar nicht der gewinnt, der das erste Tor macht. Und Spielzeiten, in denen einer, der nach sieben Spieltagen nur zwei Punkte hat und am 12. Spieltag zum ersten Mal gewinnt, nicht absteigt. Wer will, kann sich das in Cottbus erklären lassen.

Es bleibt ein unerschütterliches Phänomen, dass selbst langjährige Fußballjunkies mit sehr, sehr, sehr viel Erfahrung sich immer wieder selbst austricksen, indem sie so tun, als gebe es keine Restspielzeit. Und keine Restsaison. Als gebe es nie die Möglichkeit zur Wende. Aber es ist nicht der Weisheit letzter Schluss, den Anfang auch gleich für das Ende zu nehmen.

Es war auch – sowieso schon wegen der mageren Transferbilanz, aber erst recht nach der Famagusta-Blamage – beschlossene Sache, dass mit Werder diese Saison gar nicht zu rechnen sei. Und klar war, dass Bayern mit einem Sieg über Bremen Tabellenführer würde. Allerdings nicht, weil sie gerade so brillant sind, eher aus Gewohnheit. Sonderstatus gewissermaßen. Tja.

Sagen wir mal so: Aufgehoben ist nicht aufgeschoben. Ribery steht vor der Tür. Klinsmanns Taktiktrainer hat bestimmt noch innovativere Defensivvarianten in petto. Aber sagen wir auch: Fußball ist große Klasse. Alle werden ständig überrascht. Keiner lernt daraus. Zum Glück.

KATRIN WEBER-KLÜVER