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press-schlag... und Proleter Novi Sad spielt

Fußball ist nicht totzukriegen: Während in Westeuropa der Ball ruht, ist anderswo Wettkampf, immer noch

Ja, war denn alles nur ein kurzer, böser Albtraum? Samstag, ARD, Sekunden vor der „Sportschau“ fixt uns Präsentationssponsor Check 24 an: „Der Ball rollt wieder ...“ Es folge jetzt unvergleichlich spannender Fußball, heißt es. Tat er natürlich nicht: Moderatorin Jenny Wellmer vertalkte stattdessen eine halbe Stunde Zeit, es gebe schließlich einen „Blumenstrauß an Herausforderungen“.

Fehlendes Herumgekicke ist nur eine Marginalie in diesen Zeiten, auch wenn das Aus für alle anderen Sportarten dazukommt. Und die Fußball-EM wird diese Woche folgen: Absage, Verschiebung auf ferne Zeiten ohne Blumensträuße. Und dann vermutlich noch das Aus für Olympia.

Von wegen kein Fußball. Die Schwätzer von Check 24, die nichts gecheckt haben, müssen nur woanders hingucken. Die Rettung des Fußballjunkieismus kommt von der kicker-App. Sonst nervt sie mit seitenweisen Ligaansetzungen wie der 2. albanischen Liga. Jetzt kann uns die Restwelt beglücken.

Noch vor dem Rummenigge’schen Ende des Tages spielt Russland seine Meisterschaft aus. Dynamo Moskau gewinnt knapp 3:2 in Grosny (Tore von Konstantin Rausch und Maximilian Philipp). In Kasachstan gab es das Verfolgerduell Taldykorghan gegen Qostanai, später gewinnt endlich Oqsechetpes mal wieder. Fast vor unserer Haustür beglückt Ungarns Welten­ignorant Orbán seine Landsleute mit Ligaerlaubnis: Ferencvaros Budapest siegt 5:0! Auch Serbien spielt: Tabellenführer Roter Stern souverän, Verfolger Partizan auch. Und wann darf man sonst ein 5:0 von Proleter Novi Sad feiern?

Glühender Rasen

In den Emiraten glüht der Rasen, auch in Katar. Bei den Saudis konnte Al-Hazem FC Ar Rass das fünfte Spiel in Folge nicht gewinnen. Und jetzt geht es zum FC Dschidda! Am Samstag verpasste, ein Stück weiter südöstlich, in Australien, Tabellenführer Sydney FC mit dem eingewechselten Alexander Baumjohann den Sieg gegen Perth Glory, 0:0. In Mexikos Erstliga siegte Tijuana im gut besuchten Estadio Caliente 3:2 gegen Pachuca. Richtiger Fußball, mit Zuschauern, brodelnde Stadien, feiernde Menschen, trauernde Menschen!

Oder Brasilien. Im Maracana ging es am Samstag für Diego und Rafinha mit Flamengo gegen Portuguesa – erst in den Schlussminuten drehten die Favoriten das Spiel aus dem Rückstand zum 2:1. Dramatik pur! Im Kongo wird ebenso gespielt, wie in Angola oder Ghana, in Kirgistan oder in Usbekistan mit dem großartigen Tabellenführer Pachtakor Taschkent (4:1-Heimsieg), in Singapur oder Malaysia – der Spielbetrieb läuft. Der Ball rollt immer weiter.

Alles weit weg? Heutzutage ist die ganze Welt überall. Vielleicht ist es schwierig, sich live in Kasachstan oder Ruanda dazuzuschalten. Man gehe stattdessen in türkische Bars und Spelunken, solange das noch erlaubt ist. Bei mir gegenüber: Cafe Bizim Kahwe, Samstagabend, drei Großglotzen, drei Dutzend türkische Fußballfreunde. Einiges Gestöhne, denn das große Fenerbahce (ohne den verletzten Max Kruse) verliert zu elft gegen neun hingebungsvolle Konya-Kicker. Zu dieser Zeit hat Erdoğan gerade mal fünf (5) Infizierte ausrufen lassen – und trotzdem kickt man ohne Zuschauer: vorbildlich.

Am Sonntagabend folgt in Istanbul der Clash Galatasaray gegen Beşiktaş. Am Montag darf Lukas Podolski („Corona ist wie Gesundsein, nur ohne Würfel“) mit Antalyaspor gegen Sivasspor ran. Mehr Topspiele gehen doch nicht!

Nun ist es ja in diesen Zeiten so, dass nicht mehr gilt, was eben noch News war. Macht man einen Punkt, ist der Anfang des Satzes schon von der Wirklichkeit infiziert und als unwahr coronafiziert. Und vielleicht, wissen Sie, liebe LeserInnen, bei der Lektüre dieser Zeilen, auch schon nicht mehr, was Fußball einmal war. Das war, äh, also so ein einst sehr wichtiges Spiel. Bernd Müllender

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