press-schlag: Die unbeantwortetste Frage des Jahrhunderts
Diego oder Pelé?
Es passiert immer im Sommer. Der fängt in Uruguay im November an und dauert bis Februar. Argentinier und Brasilianer tummeln sich in ihrem Urlaubsdomizil, am schönsten Strand Uruguays, dem von Punta del Este. Sie gehen an den Strand, grillen gerne, gehen in die Disko, gucken sich Tennis und Golf an. Modern und wegen der Strandnähe sehr beliebt sind auch die Beachvolleyballturniere. Und dort passiert es dann – immer das Gleiche: Wenn Argentinien und Brasilien oder die Fans der einen mit der Mannschaft der anderen aufeinander treffen, aber auch wenn keine der beiden Mannschaften im Spiel ist, sondern sich nur die Pritscher und Baggerer von Costa Rica und Paraguay im Sand wälzen, wird leidenschaftlich der traditionellen Rivalität gefrönt. Langsam und verhalten setzen die Gesänge und Sprechchöre ein. Wie in einer Spirale nehmen sie kontinuierlich an Intensität und Rhythmus zu, bis sie früher oder später unweigerlich im Höhepunkt kulminieren: „Maradooó“ – „Pelé“, „Maradooó“ – „Pelé“. Da die Argentinier zahlenmäßig gewöhnlich die Oberhand haben, haben sie auch gleichzeitig das letzte Wort: „O Brasileño, qué amargo se te ve – Maradona es más grande, es más grande que Pelé“. Oh Brasilianer, wie bitter es auch sein mag für dich, Maradona ist größer als Pelé.
Das letzte Wort hatten sie undandere Anhänger des mittlerweile 40-jährigen Diego Armando Maradona auch, als neulich „der Fußballer des Jahrhunderts“ gekürt wurde. Zumindest im Internet. Die Jury des Weltverbandes Fifa entschied sich nämlich für den 60-jährigen Pelé. Daraufhin wurden beide mit dem ersten Preis bedacht. Eigentlich ein schöner Kompromiss. Doch ein Anliegen von Millionen Fans, eine Wissenschaft, deren Diskurs an Mannigfaltigkeit nicht zu überbieten ist, kann weder in einer Woche noch an einem Tag entschieden werden – und erst recht nicht an einem, der von der Fifa dekretiert wird. In der Frage, wer denn nun der Beste ist, wäre es beiden Anhängerschaften sowieso am liebsten, es würde niemals eine offizielle Entscheidung getroffen, sondern man ginge immer wieder in die Verlängerung. Jahre, Jahrzehnte, das ganze Jahrhundert lang sollte die Angelegenheit als Gesprächs-, Streit- und Vergnügungsgegenstand in den Händen des Fußballvolkes verbleiben (was sowieso passieren wird).
Es wäre nicht nur schade, sondern ein regelrechter Kulturverlust, wenn beispielsweise im „100-Fragen-Interview“ der größten argentinischen Wochenzeitschrift für Sport, El Gráfico, ausgerechnet die Woche für Woche den Fußballspielern, Schwimmern, Leichtathleten und Jockeys immer gleich gestellte Frage „Wie halten Sie’s denn: Maradona oder Pelé?“ wegfallen würde.
Auf dem Spielfeld sind sie sich nie begegnet. Sind es also Äpfel und Birnen, die man miteinander vergleicht? Aber auch bei zwei Äpfeln wäre es schwierig. Wird das Spiel wirklich immer besser und ist der Beste daher automatisch der Letzte? Jeder Physikstudent weiß heutzutage mehr über Physik als Newton. Aber ist er damit auch gleich der bessere Wissenschaftler? So schön eine Auszeichnung oder ein Preis auch sein kann – dieser von der Fifa verliehene ist ein wenig so, als würde ein Kind gefragt: „Wen magst du lieber: deinen Papa oder deine Mama?“
BILAL ALKATOUT
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