post aus tel aviv : Ins Schweigen zurückführen
Vollkommen normal: Razzia bei einer Fotoausstellung ehemaliger Besatzungssoldaten in Hebron
Die Fotos sind für sich genommen nicht sonderlich spektakulär. Man sieht auf ihnen verhaftete Palästinenser mit verbundenen Augen, einen Gitarre spielender jüdischer Siedler, Graffiti, die zum „Mord an den Arabern“ aufrufen. Schlimm genug. Aber doch nicht mehr als Szenen aus dem Alltag der Besatzung.
Dennoch hat Jehuda Schaul am Mittwoch dieser Woche unangemeldeten Besuch bekommen. Schaul ist einer von drei Initiatoren der Fotoausstellung in Tel Aviv, auf der die Bilder zu sehen sind. Am Mittwoch dieser Woche kam die Militärpolizei zur Razzia und konfiszierte gleich mehrere Fotos. Ein Untersuchungsverfahren soll eingeleitet werden. Offizieller Grund: Gewalt und Vandalismus gegen Palästinenser und palästinensisches Eigentum; die Initiatoren sehen sich mit dem Vorwurf konfrontiert, die Menschenrechte missachtet zu haben. Die Ausstellung unter dem Titel „Das Schweigen durchbrechen“ zeigt nämlich Fotos ehemaliger Soldaten aus ihrer Militärzeit in der palästinensischen Stadt Hebron. Jehuda Schaul vermutet dagegen einen anderen Grund: „Die Razzia zielt auf uns ab“, meint er. „Die Armee will uns einschüchtern und ins Schweigen zurückführen.“
Was man wissen muss: Jehuda Schaul und seine Mitorganisatoren waren selbst als Soldaten in Hebron. Erst im Anschluss an seinen Militärdienst, sagt Schaul, sei ihm der „Wahnsinn“ klar geworden, der in der besetzten palästinensischen Stadt Alltag sei. Während der Militärzeit werde man zu einem „Menschen ohne Gewissen“. Für ihn wie für viele andere Soldaten, die an der Ausstellung teilnehmen und ihre persönlichen Erfahrungen aus dem Militärdienst in Hebron entweder in Form einer Videoaufnahme oder in schriftlicher Fassung weitergeben, zeigen die Fotos diesen schlimmen Wandel.
Ein Nagelbrett mit hunderten „illegal konfiszierten“ Autoschlüsseln blieb von der Razzia verschont. Schaul nimmt das als Indiz dafür, dass sich die Razzia gegen die Veranstalter richtet und nicht auf eine Aufdeckung der Menschenrechtsverletzungen abzielt. Für die ehemaligen Soldaten ist hingegen genau das das zentrale Thema. „Wir wollten Hebron nach Tel Aviv bringen“, sagt Schaul, denn obschon die besetzte Stadt nur eine Autostunde von Jerusalem entfernt ist, lägen „Lichtjahre“ zwischen Tel Aviv und Hebron, wo die Bevölkerung permanenter Schikane ausgesetzt sei.
„Wir hörten eine fürchterliche Explosion“, heißt es in einer der anonymen Zeugenaussagen. „Einer der Kommandanten meinte: ‚Das ist in Ordnung, das war ich. Jemand hat sein Auto hier geparkt, also haben wir es gesprengt, damit er weiß, dass hier parken verboten ist.‘ “ Ein Foto zeigt einen 15-jährigen Jungen, der mit verbundenen Augen auf einer Holzbank sitzt und den Kopf angstvoll geduckt hält. Daneben spielen zwei Soldaten Backgammon. „Solche und ähnliche Situationen erschienen uns vollkommen normal“, erklärt Schaul. Erst, wenn man ein zweites Mal hinsieht, falle einem die „Anormalität“ der Situation auf.
„Am Tag, als ich begriffen habe, dass ich das Machtgefühl genieße, schämte ich mich“, so eine anonyme Aussage. „Es war wie ein Computerspiel: Auf kleinste Fingerbewegung gehorchen sie dir. Es war ein fantastisches Gefühl.“ Die drei Initiatoren weigerten sich im Verlauf des Verhörs bei der Militärpolizei, die Namen ihrer Kameraden preiszugeben, die anonym über ihre Erfahrungen aussagten. Die Armee habe nicht die Absicht, tatsächlich etwas an dem Verhalten der Soldaten zu verändern, meinten sie im Anschluss an die Befragung. Hier ginge es einzig darum, weitere ehemalige Militärdienstleistende davon abzuhalten, die Wahrheit ans Licht zu bringen.
SUSANNE KNAUL