portrait : Bestraft für seine versöhnliche Haltung
Es gibt noch das Absurde in Mitteleuropa: Da wird ein 84-jähriger Tscheche jüdischer Herkunft, der vier Jahre in Konzentrationslagern saß, plötzlich als Sudetendeutscher bezeichnet. Und der tschechische „Verband der Freiheitskämpfer“ schließt ihn aus. In den Kreisen, in denen „deutschfreundlich“ noch heute als übelstes Schimpfwort gilt, ist Oldrich Stransky böse angeeckt. Nicht nur, dass er sich an Diskussionen zum Thema deutsch-tschechische Versöhnung beteiligt hat. Er hat auch, so werfen ihm die Freiheitskämpfer vor, „freundliche Kontakte mit dem Prager Büro der Sudetendeutschen Landsmannschaft unterhalten“; weil er SL-Chef Bernd Posselt (CSU) vor zwei Jahren schriftlich zur Eröffnung des Büros gratulierte, wollte ihm bereits die „Vereinigung der politischen Häftlinge“ im Oktober 2003 den Vorsitz entziehen. Doch den Posten hatte sich Stransky gerichtlich zurückerobert.
„Wir können nicht mit Leuten zusammenarbeiten, für die die Leiden des Kriegs erst 1945 begannen und die nicht wissen, was davor war,“ erklärt die Sprecherin der Freiheitskämpfer, Sarka Helmichova. Oldrich Stransky kann sie da nicht meinen, denn der weiß wohl genau, was vor 1945 war. Geboren 1921 im nordböhmischen Most, deutsch Brüx, aufgewachsen im deutsch-tschechischen Antagonismus der Zwischenkriegszeit, wurde er bald Opfer der Nazi-Okkupation. 1940 wurde der 19-Jährige von der Schule ausgeschlossen. 1943 kam er, wie 150.000 weitere böhmische Juden, ins Ghetto Theresienstadt. Dort gab es nur einen Weg hinaus – per Viehtransport nach Osten. Stransky kam nach Auschwitz. Weil das Deutsche Reich Arbeitskräfte brauchte, wurde er zur Zwangsarbeit in eine Chemiefabrik bei Schwarzheide in Sachsen verlegt. Kriegsende und Befreiung erlebte er im KZ Sachsenhausen. Bei seiner Rückkehr nach Böhmen fand er sich als einziger Überlebender seiner Familie wieder. Seine Eltern verloren ihr Leben in Treblinka.
Stransky, der verheiratet ist und 21 Jahre lang als Konstrukteur bei den Eisenbahnwerken CKD arbeitete, engagierte sich nicht nur bei den Freiheitskämpfern, sondern auch für die Entschädigung tschechischer Zwangsarbeiter. Er nahm für die tschechische Seite an den jahrelangen Verhandlungen teil und sitzt auch im Verwaltungsrat des Tschechischen Rates für Nazi-Opfer.
Vor diesem Hintergrund mutet es verstiegen an, dass die Freiheitskämpfer Stransky nun einen Vorwurf daraus machen, dass er in einem damals hauptsächlich von Deutschen bewohnten Gebiet geboren wurde. „Er selbst ist eigentlich Sudetendeutscher. Auch wenn er wegen seiner jüdischen Herkunft im KZ saß“, sagt Helmichova. ULRIKE BRAUN