portrait : Milizenführer aus dem Keller geholt
Elf Jahre hat Samir Geagea im unterirdischen Gefängnis des Verteidigungsministeriums in Beirut auf diesen Moment gewartet. Gestern Morgen war er da: Der 53-jährige Führer der Forces Libanaises (FL) wurde freigelassen. Am Flughafen hielt er, sichtlich abgemagert, vor rund 300 Politikern und Religionsführern eine Rede, bevor er mit seiner Frau in den Urlaub nach Europa flog.
Geagea ist der einzige Milizenführer des libanesischen Bürgerkriegs, der für seine Verbrechen zur Verantwortung gezogen wurde. 1994 war er wegen mehrerer Angriffe auf führende Politiker, darunter Ministerpräsident Raschid Karami, zum Tode verurteilt worden, was man später in lebenslange Haft umwandelte. Sein Prozess war, laut amnesty international, manipuliert. Einige Zeugen, ehemalige FL-Kampfgefährten, sollen ihre belastenden Aussagen unter Folter gemacht haben.
Dennoch traf das Urteil keinen Falschen. Geagea, vom Beruf Arzt, war bekannt für seine Grausamkeit gegen Zivilisten. So führte er im Auftrag von Bashir Gemayel, Chef der rechtsradikalen Phalange-Miliz, mehrere Auftragsmorde durch. 1978 leitete Geagea das Kommando bei einem Massaker an prosyrischen Maroniten. Dabei wurde der Sohn von Exstaatspräsident Suleiman Frangie, Tony Frangie, mit 35 Angehörigen und Mitarbeitern ermordet.
Geagea hätte nicht einen Tag im Gefängnis sitzen müssen. Ebenso wenig wie andere, nicht minder blutrünstige Milizenführer wie Walid Dschumblatt, heute Chef der Progressiven Sozialistischen Partei, oder Nahib Berri, heute Staatspräsident. Mehrmals wurden Geagea nach 1990 Ministerposten angeboten. Aber der rechtsradikale Christ lehnte jede Beteiligung ab, solange die Syrer ihre Truppen im Land stationiert hätten. 1994 wurde er dann verhaftet, da er die „Autorität der Regierung untergrub“.
Obwohl Geagea während der Haft mehrmals erkrankte, ließ er sich zu keinerlei Konzessionen bewegen. „Lieber bleibe ich noch 20 Jahre hier, bevor ich meine Prinzipien verrate.“ Bei der Abstimmung über seine Amnestie verließen die 14 Hisbollah-Abgeordneten demonstrativ den Plenarsaal: Für die meisten Muslime ist Geagea, der während der Libanon-Invasion 1982 mit Israel paktierte, ein Verräter.
Nach dem Urlaub will Geagea in die Politik zurückkehren. Bei den letzten Parlamentswahlen errang die FL sechs Mandate. Mit Geagea dürften es in vier Jahren noch mehr werden. Ob er dann allerdings kandidieren kann, steht zu bezweifeln. Seine Verbrechen, gerade an alteingesessenen Familien, sind nicht vergessen. In Beirut wettet man bereits auf seinen Kopf.
ALFRED HACKENSBERGER
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