portrait : Russlands Weltrekord-Außerirdischer
Russlands legendärer Kosmonaut Sergej Krikalow hat einen neuen Weltrekord aufgestellt. 748 Tage verbrachte er insgesamt im All, mehr als jeder andere Astronaut. Da bislang Krikalows Landsmann Sergej Awdejew den Kosmosrekord innehatte, wurde das Ereignis nur in bescheidenem Rahmen begangen. Dem Helden der Sowjetunion stahl gestern ein anderer Überflieger die Show. Kremlchef Wladimir Putin eröffnete in Schukowskije bei Moskau Russlands internationale Flugschau.
Wie Putin stammt auch der 46-jährige Krikalow aus Sankt Petersburg. In Zielstrebigkeit, schulischen Leistungen, tadellosem Äußeren und einer für Russland ungewöhnlichen Freundlichkeit könnte der neue Halter des Weltrekords dem Labor des sowjetischen „neuen Menschen“ entsprungen sein.
1981 verließ Sergej das Leningrader Institut für Mechanik, wo er sich auf Entwicklung von Flugkörpern spezialisiert hatte, mit Diplom und Auszeichnung. An einer Expedition zur sowjetischen Mir-Station nahm er erstmals 1989 teil. Der damals 30-jährige blieb 151 Tage und 11 Stunden im All. Seither absolvierte der leidenschaftliche Kunstflieger und mehrfache russische Meister fünf weitere Raummissionen, darunter an Bord der US-Raumschiffe „Discovery“ und „Endeavour“. 1996 wurde er zum Flugingenieur der International Space Station (ISS-1) ernannt.
Die längste Zeit verbrachte Krikalow unfreiwillig im Kosmos. Während der Expedition EO-9/10 zur Raumstation Mir im Frühjahr 1991 ging es in Russland auch ohne Schwerelosigkeit drunter und drüber. Im August brach das kommunistische System zusammen, und der Mann im Orbit wurde schlichtweg vergessen. 311 Tage und 20 Stunden schwebte der junge Familienvater im All. Als Sowjetbürger war er gestartet, als Russe kehrte er zurück.
Dieser verlängerte Weltraumausflug machte ihn über die Grenzen Russlands hinaus berühmt. Ein dankbarer Stoff für Drehbuchautoren und Regisseure, die Krikalow in zahlreichen Filmen verewigten. In Melbourne, auf dem Arts Festival 2004, tauchte er erstmals als Opernheld in der Tanz- Oper „Kosmonaut in vier Umlaufbahnen“ auf. Der Plot: Eine einsame Frau träumt davon, dem irdischen Jammertal zu entkommen. Sie fängt Signale des unfreiwillig kreisenden Piloten auf. Eine Beziehung beginnt – jenseits von Zeit und Raum.
Dass Krikalow gelegentlich vergessen wird, belegt noch eine andere Anekdote. Die Armee stellte ihm einen Einberufungsbefehl zu. Als er sich nicht meldete, folgte ein Haftbefehl. Er war außer Reichweite im All. Vielleicht auf einem Spaziergang. 35 Stunden verbrachte er außerhalb der Raumstationen.
KLAUS-HELGE DONATH