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Archiv-Artikel

portrait Der respektlose Parteitagsblogger

Heute findet in Berlin der SPD-Parteitag statt und neben den zahllosen Vertretern der etablierten Medien wird auch Felix Schwenzel von diesem Ereignis berichten. Aber wenn er seine bissigen Artikel über die Auftritte von Müntefering und Schröder verfasst, muss er sich dabei – anders als seine Kollegen – wenig um Länge, Inhalt und Form scheren. Denn Felix Schwenzel ist ein Blogger. Blogs nennt man die jüngste Blüte jenes Informationsdschungels, den uns das Internet beschert hat. Es sind einfach gebaute Webseiten, auf denen die Blogger nach Herzenslust den Lauf der Welt kommentieren.

Felix Schwenzel gehört zu den bekanntesten Bloggern Deutschlands. Seine Webseite wirres.de zählt zu den zehn meist verlinkten Blogs der Republik. Täglich wird er von bis zu 1.800 Usern angeklickt. Der SPD-Parteitag ist nicht der erste Parteitag, von dem Felix Schwenzel berichtet. Als Korrespondent der Seite wahlblog.de kommentierte er unter dem Kürzel „ix“ die Parteitage der CDU und der Linkspartei, am 9. September folgt dann die FDP. Schwenzel schreibt nach eigener Auskunft „oberflächlich, ohne tiefe Recherche, ohne große Vorbereitung“. Das ist für die Leser seiner Parteitags-Berichte aber nicht unbedingt von Nachteil, denn sie erfahren von all den Abseitigkeiten, die professionelle Journalisten unter den Tisch fallen lassen. So interessierte sich Schwenzel bei der Rede Lafontaines vor allem für dessen fehlende Haarpracht und zog daraus einen erstaunlichen Vergleich: „Politisch ist die Glatze der Bundeshaushalt und sein Defizit, die Seitenhaare massive Steuererhöhungen, die dann das Haushaltsdefizit mit einem Kammstrich kaschieren“. Auch dass Lafontaine so häufig das Wort „ich“ verwendete, wurde von Schwenzel kommentiert: „Da scheint sich eine neue Spielart im linken Spektrum abzuzeichnen: Sozialichmus.“

Internet war schon immer die Leidenschaft des 36-Jährigen. Während des Architekturstudiums in Stuttgart hat ihn die weite Welt des Netzes mehr begeistert als das Entwerfen von Gebäuden. Heute arbeitet er als Web-Entwickler in Berlin-Mitte. Von dort aus versorgt er seit über drei Jahren seine Webseite wirres.de täglich mit abstrusen Beobachtungen und Ideen. Gesellschaftliche Phänomene wie Metrosexualität werden von ihm genauso durch den Kakao gezogen wie die neuesten Äußerungen deutscher Prominenter. Aber auch über sich selbst kann Schwenzel lachen: Wer will, kann sich eine 360-Grad-Ansicht seines Profils herunterladen und es nach allen Seiten drehen. Schließlich blogge er, so Schwenzel, „um Dinge festzuhalten, mich zu erinnern und zu reflektieren, aus Eitelkeit und weil es Spaß macht.“ MARTIN SCHNEIDER