portrait : Der gute Mensch von Graz
Geben ist seliger denn Nehmen“, plakatierte die KPÖ im steirischen Wahlkampf. Eine deutliche Anspielung auf ihren Spitzenkandidaten Ernest Kaltenegger: Der zahlt, seit er ein politisches Amt bekleidet, einen substanziellen Teil seines Einkommens in einen Sozialfonds ein. Gerade in Zeiten, da Schweigegelder und Spitzenabfindungen in öffentlichen Unternehmen die Schlagzeilen beherrschen, scheint dieser biblische Leitsatz einen Nerv des Wahlvolks getroffen zu haben. „Fürchtet euch nicht“, entgegnete Kaltenegger, als die ÖVP für den Fall einer rot-roten Wende die Gefahr von Verstaatlichung und Kollektivierung der Landwirtschaft an die Wand malte. Vor allem in der Landeshauptstadt Graz, wo der Wohnbaustadtrat vielen Mindestrentnern zu billigeren Mieten verhalf und Arbeitslose vorm Rauswurf schützte, verbindet man mit der KPÖ nicht Kolchosenwirtschaft und Räterepublik, sondern unbürokratisches Eingreifen zugunsten der sozial Schwachen. Wenn man mit ihm durch die Mietskasernen der Grazer Arbeiterbezirke zieht, wird deutlich, wie populär Kaltenegger ist. Mit 6,3 Prozent bei den Landtagswahlen machte er die KPÖ zur drittstärksten Kraft in der Steiermark.
Seinen bescheidenen Lebensstil hat der 55-Jährige im Zuge seines politischen Aufstiegs nicht verändert. Meist fährt er mit dem Fahrrad zur Arbeit, und auch seinen alten Skoda hat er nicht gegen einen Benzinfresser vertauscht. Das macht ihn glaubwürdig. Was Armut bedeutet, hat Kaltenegger selbst erfahren. Der Großvater, bei dem er aufwuchs, diente als Holzknecht im Benediktinerstift Admont. „Am Land ist eben der Unterschied zwischen oben und unten spürbarer“, erinnert er sich. Das brachte ihn mit 15 Jahren schon zur Sozialistischen Jugend. Aber dort fand er nicht den erhofften Einsatz gegen soziale Ungerechtigkeit: zu viel Blabla, zu wenig Aktion. So landete er 1972 bei der Kommunistischen Jugend in Graz, wo er zuerst Landessekretär wurde und 1981 in den Gemeinderat einzog. Der von ihm eingerichtete Mieter-Notruf machte Kaltenegger bekannt und populär, denn er schaffte es, konkret zu helfen und nicht auf Programme oder Erklärungen zu verweisen. So erklärt sich auch sein Erfolg bei den Grazer Gemeinderatswahlen 2002, als er der KPÖ ein Traumergebnis von 20,9 Prozent und zwei Sitze im Stadtsenat verschaffte.
In der Parteizentrale in Wien wird die Popularität des „Engels der Armen“ mit gemischten Gefühlen gesehen. Zwar freut man sich über die politische Aufwertung der KPÖ in der Steiermark, doch wünscht man sich eher Zuspruch zum Parteiprogramm als Applaus für einen unpolitisch wirkenden Sympathieträger. RALF LEONHARD