portrait : Der Sprecher, der zu viel flüsterte
Organigramme sind was Schönes. Edmund Stoiber liebt sie. Durch die Linien und Kästchen kann er sehen, wer was macht im Apparat. Ein Organigramm hatte er auch schon vom neuen Superwirtschaftsministerium, aber das hat er dann nicht mehr so gemocht.
Wandert man im offiziellen Organigramm der Bayerischen Staatskanzlei die linke Linie vom Ministerpräsidenten runter, überquert das Kästchen des Staatsministers und das des Amtschefs, geht vorbei an den Abteilungen Personal und „Richtlinien in der Politik“, so kommt schließlich die Abteilung A II. Es ist das Kästchen von Ministerialdirigent Martin Neumeyer, aber der Name steht gar nicht dabei. Es findet sich auch keine Kurzbiografie auf www.bayern.de und die Staatskanzlei schickt sie einem nicht.
Dabei ist Regierungssprecher Neumeyer zu einem so wichtigen Einflüsterer geworden, dass manche in der CSU sagen, Stoiber sei süchtig nach seinem Rat. Ein Sprecher, der Entscheidungen nicht nur verkündet, sondern sie vorgibt. Weil sie in der CSU gerade gegen den Chef rebellieren, wollen sie, dass Neumeyer fliegt. Er verkörpert, was sie stört: dass die Staatskanzlei alles an sich zieht und die Fraktion zum Trachtenaufzug degradiert.
Schon früher war die Macht in Bayern zentralisiert. Aber anders als heute gab es um Stoiber eine Menge Einser-Juristen, die ihn berieten. Sieben Tage die Woche ließ er die Jungs um seine Gunst kämpfen.
Im Wahlkampf 2002 diente Neumeyer als zweiter Pressesprecher des Kanzlerkandidaten. Die Nummer eins war Ulrich Wilhelm. Sie verabredeten, in Urlaub zu gehen, während Stoiber auf die Nordseeinsel Juist fuhr. So machte es Neumeyer auch – doch er fuhr zufällig ebenfalls nach Juist. Als Stoiber wegen der Flut den Urlaub abbrach, war Neumeyer als Erster am Meister dran.
Seit Januar 2004 ist der Ehrgeizige formell erster Regierungssprecher. Mehr und mehr hat er sich gegen alle anderen durchgesetzt. Stoiber braucht zwar weiter seine Akten, aber mehr Bedeutung haben jetzt die Zettelchen, die Neumeyer ihm reicht. Kommen die zwei an einem Kamerateam vorbei, raunt der Berater schnell in Stoibers Ohr, was die Botschaft sein muss. Weil Stoiber die Medien immer wichtiger fand, ist der 45 Jahre alte Neumeyer immer mächtiger geworden. Doch der orientiert sein Tempo an den Medien. So kommt es, dass der CSU-Chef in der Zeitung etwas verkündet, das die Parteispitze noch nicht verdaut und die Basis im Bayerischen Wald noch nicht mal gekostet hat.
Gerade sind für Stoiber wieder Organigramme wichtig. Bundesministerien. Irgendwo muss ein Kästchen sein. Eines, in das er Neumeyer stecken kann. GEORG LÖWISCH