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Archiv-Artikel

portrait Der letzte israelische Sozialist

„Er ist die Antithese der Arbeitspartei“, kommentierte Transportminister Meir Schitrit besorgt die Wahl von Amir Peretz zum neuen Chef von Israels zweitgrößter Partei. Genau deshalb drohe nun „Gefahr für den Likud“. Der partei-interne Wahlsieg von Peretz bedeutet nicht nur das Ende der Regierungskoalition und vorgezogene Neuwahlen, sondern auch ein komplettes Aufbrechen der traditionellen Wahlstrukturen in Israel.

Der scheidende Schimon Peres, wohnhaft in einem Tel Aviver Edelviertel, holte die Stimmen für seine Partei von den aus Europa stammenden, gebildeten und dem Establishment angehörenden Israelis. Der aus Marokko stammende Peretz hingegen lebt in der häufig von palästinensischen Kassam-Raketen beschossenen Entwicklungsstadt Sderot, wo er als 28-Jähriger im Stadtrat die Karriere als Politiker begann. Außer seinem Abschlusszeugnis der örtlichen Mittelschule und einer eher bescheidenen Karriere bei der Armee, wo er es gerade mal bis zum Hauptmann schaffte, hat Peretz nicht viel vorzuweisen. Trotzdem wurde er acht Jahre später von der Arbeitspartei ins Jerusalemer Parlament geschickt.

So untypisch der 53-jährige Peretz mit seinem buschigen Oberlippenbart und dem unverkennbar kehlig-rauen Hebräisch auch äußerlich für die Arbeitspartei sein mag, so steht er mit seiner politischen Haltung deutlicher für die Parteigrundsätze als so mancher seiner Genossen: strikt weltlich, strikt friedenspolitisch und stets orientiert an gesellschaftlicher Gerechtigkeit. Eines seiner Ziele ist die Verringerung der immer größer werdenden Kluft zwischen Arm und Reich.

Als Chef von Israels mächtigem Gewerkschaftsverband Histadrut kämpfte er für die Rechte der Arbeiter und kleinen Beamten. Er legte, wenn es sein musste, sämtliche öffentlichen Ämter, Flughafen, Müllabfuhr, Schulen und sogar den Krankenhausbetrieb, für Stunden oder Tage still. Die 40.000 Gewerkschaftsmitglieder standen bei Fuß, sobald der charismatische Chef sie rief.

Die Erhöhung der Mindeslöhne stehen ganz oben auf der Agenda des neuen Labour-Chefs, der die traditionell aschkenasische (europäisch-jüdische) Partei nun zu einer politischen Heimat der Sepharden (orientalische Juden) machen will. Der „ethnische Dämon“ sei „Israels schlimmster Feind“. 1,5 Millionen aus Marrokko stammende Israelis, mehrheitlich traditionelle Likud-Wähler, haben nun zum ersten Mal die Chance, einen der Ihren auf den höchsten Regierungsposten zu bringen, damit er die Partei der Arbeiter endlich wieder den Weg einschlägen lässt, den sie vor Jahrzehnten verlassen hat: zurück zum Sozialismus.

SUSANNE KNAUL