portrait : Junge Realo-Gewerkschafterin
Ihre Schirmmütze hat Julie Coudry in den vergangenen Wochen nicht nur zu Demonstrationen, sondern auch zu Treffen mit ParlamentarierInnen, bei Fernsehdebatten und während Gesprächen mit Universitätsrektoren getragen. Das Mädchen mit der Kopfbedeckung ist zu einem Gesicht der Bewegung gegen den Contrat première embauche (CPE) geworden. Ihre Züge sind noch kindlich weich. Aber ihr Auftreten und ihre kontrollierte, wenngleich sanfte Stimme zeugen bereits von langjähriger Erfahrung auf der gewerkschaftlichen Bühne. Wenn die junge Frau Dinge sagt wie „gewählte berufliche Orientierung“ oder „nachhaltige berufliche Entwicklung“ und: „Soziale Prekarität darf keine Zwangspassage für junge Beschäftigte werden“, dann klingt das kein bisschen nach jugendlicher Revolte. Sondern vor allem vernünftig.
Julie Coudry ist 1977 als Tochter einer Erzieherin und eines Musikers geboren. In Paris hat sie einen Master in Wirtschafts- und Sozialverwaltung gemacht. Persönlich ist sie vom CPE gar nicht mehr betroffen. Zu alt. Der „Erste Arbeitsvertrag“ mit seiner zweijährigen Probezeit, in der die Patrons täglich und ohne Angaben von Gründen kündigen dürfen, soll nur für Beschäftigte bis 26 Jahren gelten. Julie Coudry ist Gewerkschafterin und Präsidentin der Confédération étudiante, einer jungen studentischen Organisation, die von der reformistischen Gewerkschaft CFDT unterstützt wird.
Zusammen mit anderen ehemaligen Mitgliedern schied Julie Coudry im Jahr 2003 aus der linken studentischen UNEF aus. Sie kritisierte ihre alte Organisation, deren Führung sie zuvor angehört hatte, als „zu radikal“ und „zu dogmatisch“. Bei Veranstaltungen signalisierte Coudry ihre Zustimmung zur Marktwirtschaft und Gegnerschaft zum Sozialismus. Und gründete eine eigene studentische Gruppe, die politisch dem rechten Flügel der PS nahe steht.
Von Anfang an ist Julie Coudry Präsidentin und das meistgesehene Gesicht der neuen Organisation. Binnen zwei Jahren machte sie die Confédération étudiante zu einer ernst zu nehmenden Konkurrenz für den an den Universitäten weiterhin stärkeren UNEF. Eines der Themen, bei denen sie sich besonders engagierte – lange bevor im Januar der Premierminister seinen Durchmarsch mit dem CPE begann – war die europäische Verfassung. Anders als die meisten linken Gruppen und auch als der linke Flügel der PS warb sie für den Text.
Jetzt zeigt Julie Coudry wieder das Zeug zur Realo-Gewerkschafterin. Sie repräsentiert, in Form und Inhalt das Denken eines großen Teils der französischen StudentInnen in diesem Frühling 2006: sozial, und reformistisch – aber nicht revolutionär. DOROTHEA HAHN