portrait : Scrat, der immer strebend sich bemüht
Scrat, so heißt dieses merkwürdige Wesen, ist längst ein Superstar. Auf den einschlägigen Fansites im Netz ist von Kultstatus die Rede, dabei kann man sich noch nicht einmal darauf einigen, was für ein Tier das denn nun genau sein soll. Säbelzahneichhörnchen? Rattenhörnchen? Eichratte? Egal. Ansonsten weiß man über Scrat nur noch zwei Dinge. Dass es in der Eiszeit gelebt haben muss, schließlich handelt es sich um eine animierte Figur aus dem Film „Ice Age“, dessen Fortsetzung in den USA schon Kassenrekorde bricht und morgen in Deutschland anläuft. Und dass sein einziges Sehnen und Trachten der Eichel gilt, die es als seinen größten (und übrigens auch einzigen) Schatz stets im Maul trägt.
Diese Frucht will Scrat eigentlich nur verbuddeln. Was aber jedes Mal nicht einfach nur fehlschlägt, sondern gleich zu Gletscherzusammenbrüchen und anderen Katastrophen führt. Scrat, das ist nämlich einer wie wir – es ist ja nicht viel, was man sich als Projekt vorgenommen hat: Eichel vergraben, Job finden, WM-Karten ergattern, solche Sachen. Nur scheint sich dann immer alles gegen einen zu verschwören.
Bei Scrat ist das so: Will er die Eichel in einer Baumhöhle verstecken, schlägt garantiert gleich der Blitz ausgerechnet in diesen Baum ein. Landet er (vom zusammengebrochenen Gletscher aus) im Wasser, dann in einem Schwarm eiszeitlicher Piranhas. Vor Adlern und Vulkanen muss er seinen Schatz schützen. Was er auch immer tapfer macht. Aber ihm nie was nützt. Ans Ziel, man ahnt es, kommt Scrat nie. Aber Aufgeben ist eben auch nicht drin.
Die Popularität von Scrat geht inzwischen weit über die des Films hinaus. Das liegt daran, dass er Erinnerungen an die klassische Zeit des Slapstick heraufruft. Die Szenen mit ihm sind wie ein Slowburn gebaut – daher kommt die Komik. Scrat reicht aber auch an psychologische Tiefenschichten heran – da kommt die Rührung her, die er auslöst. Er will ja gar kein Komödiant sein. Er will einfach nur seine Eichel vergraben, verdammt.
Scrat, das ist so etwas wie eine zeitgemäße Sisyphosfigur, nur dass man sich ihn auf gar keinen Fall als glückliches Tier vorstellen darf. Man kann sich aber das melancholische Lächeln der modernen Hippies, die in Hollywood derzeit Animationsfilme machen, in dieser Sache gut vorstellen. „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen“, so heißt es in Goethes „Faust“. Aber entweder haben Chris Wedge und die anderen „Ice Age“-Macher den „Faust“ nicht gelesen. Oder sie glauben nicht dran. Jedenfalls strebt Scrat und strebt, aber mit der Erlösung wird das irgendwie nichts.
Sagen wir ja: Wie bei uns allen. DIRK KNIPPHALS