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Archiv-Artikel

portrait Der Filmemacher der Working Class

Der englische Filmemacher Ken Loach ist ein sanfter Radikaler. In Interviews antwortet er mit leiser Stimme, und auch vor großem Publikum wird er nicht laut. In Cannes, wo er am Sonntagabend mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde, konnte er seinen Film für sich sprechen lassen: „The Wind that Shakes the Barley“ ist ein Drama aus dem Jahr 1920. Iren kämpfen für die Unabhängigkeit von England. Zwei Brüder teilen ein Anliegen, und stehen einander schließlich doch feindlich gegenüber. Auf Fragen, ob hinter dem alten Imperium England nicht auch aktuelle politische Konstellationen erkennbar seien, hat Loach zustimmend geantwortet.

Das passt zu seinem Kino der Intervention, das auch dann in die Gegenwart spricht, wenn er ein historisches Sujet wählt. Ken Loach, am 17. Juni 1936 in Nuneaton, Warwickshire, geboren, versteht sich bis heute als Mitglied einer „Arbeiterklasse, die nicht arbeitet“. Mit dieser Formulierung reagiert er darauf, dass der englischen Linken spätestens nach der Thatcher-Regierung zunehmend die eigene Klasse abhanden kam. 2001 erzählte Loach dazu eine paradigmatische Geschichte: In „The Navigators“ wird nicht nur die englische Eisenbahn privatisiert. Das Personal wird auch ausgegliedert, die einst stolze Belegschaft findet sich in Leiharbeiterfirmen wieder.

Unter den Menschen, die sich durch New Labour nicht vertreten fühlen, findet Loach die Figuren für seine Filme. Es sind häufig Sozialdramen, die von großer Intimität leben und in der Darstellung von Problemen manchmal schwer zu ertragen sind. Loach erreicht diese Intensität, indem er den Schauspielern das Drehbuch nur sukzessive zur Kenntnis bringt: Sie reagieren dann so unmittelbar wie im richtigen Leben. Im staatlichen Fernsehen konnte er in den Sechzigern an dieser Methode feilen.

Zwei seiner besten Filme stammen aus dieser Frühzeit: „Poor Cow“ (1967) und „Kes“ (1969) sind beinahe ethnografisch in ihrer Schilderung der Working Class. Wie unbeirrt Ken Loach auf seiner Perspektive beharren kann, hat er 2002 mit seinem Beitrag zu dem Episodenfilm „11’09’01“ bewiesen, in dem er daran erinnerte, dass der 11. September auch ein wichtiges Datum des US-Imperialismus ist: Am 11. September 1973 stürzte in Chile die Regierung Allende in einem Putsch, den die CIA steuerte. Ken Loach hält gegen alle posthistorischen Versuchungen an einem Weltbild fest, für das der Spanische Bürgerkrieg (an den er 1995 mit „Land and Freedom“ erinnerte) eine Modellsituation bleibt. Seine besten Filme entstehen aber immer dann, wenn er die Analogien hinter sich lässt und das menschliche Drama schmerzhaft zum Vorschein kommt. BERT REBHANDL