portrait : Schach dem Kreml
Am vergangenen Sonnabend war Garri Kasparow mal wieder am Zug: Immerhin rund 2.500 Menschen brachte der russische Ex-Schachweltmeister und Kritiker von Präsident Wladimir Putin in Moskau zu Protesten gegen das Regime auf die Straße. Dass die Demonstration von 8.000 Polizisten „begleitet“ und Kasparow mehrmals von Störern mit Rufen wie „Faschisten!“ unterbrochen wurde, wird den 43-Jährigen überrascht haben. Schließlich hatte er vor der Kundgebung vor gewalttätigen Auseinandersetzungen gewarnt und Putin vorgeworfen, einen Polizeistaat errichtet zu haben.
Garri Kasparaow wurde am 13. April 1963 als Sohn eines deutsch-jüdischen Vaters und einer armenischen Mutter in Baku (Aserbaidschan) geboren. Um den jüdischen Hintergrund zu verschleiern, ließ Kasparows Mutter den eigentlichen Namen ihres Sohnes, Garri Weinstein, ändern, als er 12 Jahre alt war. Zu diesem Zeitpunkt hatte Kasparow schon fünf Jahre intensiven Schachunterricht hinter sich. Im gleichen Jahr gewann er die UdSSR-Juniorenmeisterschaft im Schach, mit 16 wurde er Großmeister. Am 9. November 1985 war Kasparow am Ziel seiner Träume: er bezwang – im zweiten Anlauf – Anatoli Karpow und wurde mit 22 Jahren der jüngste Schachweltmeister in der Geschichte.
Im März 2005 gab der „Mohammed Ali des Schachs“ seinen offiziellen Rückzug aus der Welt des Wettkampfsports bekannt. Es falle ihm zusehends schwerer, ein Turnier fehlerfrei durchzuspielen, sagte er zur Begründung.
Im gleichen Jahr wechselte der begeisterte Hobby-Historiker, der unter dem Titel „Meine großen Vorkämpfer“ gerade an einer Geschichte der Schachweltmeister arbeitet, in die Politik. Er wurde Mitbegründer und Vorsitzender des „Komitees 2008: Freie Wahlen“, das eine weitere Kandidatur von Staatschef Putin verhindern will, und rief die „Vereinigte Bürgerfront“ ins Leben, die die spärlichen Reste der Opposition bündeln soll. Am 15. April 2005 hatte Kasparow Glück im Unglück: bei einer Veranstaltung wurde er von einem Mitglied einer Putin nahe stehenden Jugendorganisation mit einem Schachbrett angegriffen, aber nur leicht am Kopf verletzt.
Dies dürfte nicht der letzte Schlag gewesen sein. Nachdem die ARD einen Auftritt Kasparows in der Talkshow „Sabine Christiansen“ zur Ermordung des russischen Exagenten Alexander Litvinenko am 10. Dezember abgesagt hatte, machte dieser aus seinem Ärger keinen Hehl, weil „solche Sendungen die einzige Chance für uns sind, die Vertreter der russischen Regierung zu konfrontieren“. Mal sehen, ob er, wie von der ARD angekündigt, im März 2007 eine neue Chance bekommt.
BARBARA OERTEL