pop komm raus : Eine Hand knabbert die andere
Ziemlich genau sechs Jahre nach meinem ersten und einzigen Popkommbesuch, seit fünf Monaten bin ich Volontär, liegt morgens ein Päckchen in der Redaktion. Auf meinem Schreibtisch! Eine CD! Aber ich hab doch gar keine bestellt … Ein bisschen muss ich in diesem Moment wie Boris Becker in dem AOL-Werbespot ausgesehen haben: leicht bräsig, schwer glücklich, geradezu beseelt von der Schönheit des Augenblicks. Boris drin – im Internet. Ich auch drin – im Verteiler des Labels Grand Hotel van Cleef, nur weil ich mal einen ihrer Künstler auf 150 Zeilen hymnisch gefeiert habe. Ohne Hintergedanken, ich mag ihn einfach.
Und trotzdem ist damit ein Anfang gemacht, ich bekomme zwar noch keine VIP-Tickets für Robbie Williams zugeschickt, doch das System beginnt mich einzulullen – wie die Schlange Kaa den armen kleinen Mogli. Ganz so unschuldig wie der Dschungeljunge bin ich nicht, denn ich spiele brav mit – wider besseren Wissens. Denn in dem Spiel zwischen Plattenfirmen und Journalisten geht es um Macht, und Machtkämpfe überlasse ich für gewöhnlich UnionspolitikerInnen.
Aber manchmal, in dunklen Momenten, macht es schon Spaß, sich im Bürostuhl zurückzulehnen und ab und zu irgendwas Destruktives wie keine Zeit, kein Platz, keine Lust in den Telefonhörer zu brummeln, während sich am anderen Ende der Leitung jemand richtig Mühe gibt, dir Künstler XY näher zu bringen: Um das Ganze zu einem versöhnlichen Abschluss zu bringen, mündet das Brummeln mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in den Worten CD zuschicken und/oder Gästeliste +1. Dann verstummt es.
Das Komische daran ist, dass nachher beide Seiten meinen, „gewonnen“ zu haben: Die Plattenfirma ist ihr Produkt losgeworden und der Journalist hat eine CD mehr im Regal. Dass sie sich gegenseitig brauchen, ohne einander nicht existieren könnten: den symbiotischen Charakter ihrer Beziehung kehren Plattenfirmen und Journalisten lieber unter den Teppich.
Und so werden auch in diesem Jahr wieder Heerscharen von Journalisten mit diesem entschlossenen, stolzen Mich-korrumpiert-ihr-nicht-Blick hocherhobenen Hauptes über die Popkomm laufen und sich nur äußerst widerwillig auf eine Flasche Bier einladen lassen. Ohne mich!
Stattdessen könnte ich mir vielleicht mal endlich die neue Nada-Surf-Platte anhören. Warum? Weil sie neulich auf meinem Schreibtisch lag. Die Imme von City Slang hat sie mir geschickt, weil ich sie gaaanz lieb drum gebeten hatte. Mich muss man sich als einigermaßen glücklichen Menschen vorstellen und die Popbranche als ein SM-Studio mit wechselnder Rollenverteilung. Deswegen mein Tipp am Rande: Unbedingt die Schuhe vom letzten Waldspaziergang für den Messebesuch vormerken. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass sie hinterher blitzblank sind. Aber vielleicht tu ich damit den SM-Studios auch Unrecht. DAVID DENK