pop im wahlkampf 2002: Kennen Sie Malcolm McLaren? RENÉ MARTENS über Politiker, die heute mit popkulturellem Kapital protzen
Der kleine Rock-’n’-Roll-Schwindel
Spektakulär war wenig an der letzten Love Parade. Nur ein TV-Interview am Rande des Umzugs erregte Aufsehen. Jürgen Trittin – bisher eher im Verdacht, Aerosmith-Fan zu sein – verblüffte da mit dem Bekenntnis, er höre „schon auch mal Techno“. Im weitesten Sinne – denn, schränkte der Umweltminister ein, er favorisiere „eher St. Germain“, was ja „halt eher House“ sei.
Gewiss kann man sich den jazzigen House von St. Germain durchaus als Soundtrack in Berlin-mittigen Abgeordneten-Hangouts vorstellen, denn die Musik tut ja keinem weh. Das erklärt aber nicht die Strategie hinter Trittins Statement: Was bringt einen Bundesminister dazu, den Namen einer frühen französischen House-Combo fallen zu lassen? Wollte der Minister womöglich sagen: Hey, ihr Laumänner, französisches Dance-Zeug habe ich schon gehört, als von Daft Punk noch gar nicht die Rede war?
Kurz vor Trittins Coming-out als House-Fan erschien in der trifft-Reihe, in der Prominente für die Deutsche Grammophon Best-of-Kollektionen ihrer Lieblingskomponisten vorstellen, die CD „Klaus Wowereit trifft: Giacomo Puccini“. In den Liner Notes lässt der Hauptstadtvorsteher anklingen, er sei beileibe kein Opernpurist.
Es habe seinen „Beifall gefunden“, dass „Malcolm McLaren, der Erfinder der Punk-Legende Sex Pistols, einst Madame Butterfly für die Diskothek kompatibel machte“. Ob hier nun einer von Wowereits Schreibsklaven am Werk war – die Plattitüde „Erfinder der Punk-Legende Sex Pistols“ klingt ziemlich streberhaft – oder der Bürgermeister selbst in die Tasten gehauen hat, ist dabei sekundär. Von Belang ist vielmehr, dass sich Wowereit einen Distinktionsgewinn erhofft, indem er den mal genialischen, mal komplett bescheuerten Zampano wohlwollend erwähnt. Die gewürdigte Puccini-Adaption war übrigens die letzte musikalische Äußerung McLarens, die der Rede wert ist: 16 Jahre ist das schon her.
Statements wie die von Wowereit und Trittin sind jedoch Indizien dafür, dass einige der heute Regierenden mit popkulturellem Kapital punkten wollen. Verständlich, dass in so einer Situation über neue Koalitionen spekuliert wird: Anfang Juli meldete der Spiegel, dass für die Sozis nunmehr nicht allein die üblichen Verdächtigen wie Udo Lindenberg trommeln, sondern auch Stars der jüngeren Generation, etwa Sasha und Smudo. Allerdings dementierten die Beteiligten schnell. Dabei hätte zumindest Sasha perfekt zur SPD gepasst. Die Sendung „ran WM-Fieber“, für die er den Erkennungssong „This Is My Time“ geschrieben hatte, stand in puncto Penetranz einem öffentlichen Auftritt Gerhard Schröders in nichts nach.
Beim Stichwort Pop und Wahlkampf kommt immer schnell die Rede auf Bill Clinton, weil der im Juni 1992 in einer TV-Show zum Saxophon griff, um Elvis Presleys „Heartbreak Hotel“ zu spielen. Damit habe er, dem man zu dem Zeitpunkt nur wenig Siegchancen auf das Präsidentenamt eingeräumt hatte, „den Spieß umgedreht“, meint zumindest der US-Publizist Greil Marcus. Bei der Antrittsfeier von George W. Bush sang dafür das R-’n’-B-Trio Destiny’s Child. Der Präsident „riecht gut, so ein bisschen nach Waschmittel“, sagten die Musikerinnen später.
Wenn dagegen Politiker über Pop reden, sagen sie immer etwas, womit sie nicht falsch liegen zu können glauben. Jimmy Carter hatte einmal eine Phase, in der er ständig betonte, er finde Bob Dylan gut. Dann fragte ihn ein Journalist mal nach einem Lieblingssong. Carter antwortete, sie seien alle gut. Aber er müsse doch einen Favoriten haben, hakte der Interviewer nach. Nein, alle gut, wand sich der Politiker. Er hatte Dylan bloß immer erwähnt, weil einer seiner Berater das für imagefördernd hielt.
Umstrittene Musiker dagegen taugen nicht für den Wahlkampf. Würde sich Jürgen Möllemann zu Joachim Witt bekennen, der mit faschistoider Ästhetik zumindest spielt? So plump ist nicht einmal er. Und die Scorpions – nicht nur was für Schröder, ihre Musik lief vor einem Jahr auch auf einem Parteitag der Berliner CDU – wären tabu, wenn die noch so drauf wären wie 1976. Damals erschien ihr Album „Virgin Killer“ mit einem pädophilenfreundlichen Cover, das ein jungfräuliches nacktes Mädchen zeigte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen