philipp maußhardt über Klatsch : Der Frühling danach
Im Belgrader Exil entdeckte Lothar Matthäus den Serben in sich. Und er hat sogar versprochen, Kyrillisch zu lernen
Die Frage nach dem „Danach“ stellt sich ja nicht nur der Christenmensch. Auch der Lebemensch („Nach dem Essen sollst du ruhn oder tausend Schritte tun“) muss sich entscheiden. Am schwersten mit der Ungewissheit, was da einmal kommen wird, tut sich aber der Fußballmensch („Nach dem Spiel ist vor dem Spiel“), der umso weniger zu beneiden ist, je näher sein Karriereende rückt. Was wird aus einem Fußballprofi, wenn der Ball nicht mehr rollt? Ein Alkoholiker (Gerd Müller)? Ein Kokainsüchtiger (Diego Maradona)? Ein Versicherungsvertreter (Achim Weber)? Ein Tennishallenbesitzer (Guido Buchwald)?
Schriftsteller wäre eine Lösung. Auch wenn Stefan Effenberg den Satz von Josef Beuys („Ich denke mit dem Knie“) vielleicht zu wörtlich genommen hat, er legte zumindest jetzt einmal sein Erstlingswerk vor, und da sollte man mit einem Nachwuchsliteraten nicht so gnadenlos umgehen, wie das jetzt die FAZ-Feuilletonisten mit ihm tun. Sein Buch („Ich hab’s allen gezeigt“) trägt doch schon im Titel eine große, tiefe, innere Wahrheit. Er zeigt „es“ uns. „Es“, das Nichts, das Grauen. Über 100.000 Mal schon verkauft.
In dieses Nichts zu stürzen drohte eine Zeit lang auch der zweifache Weltfußballer des Jahres, Ausnahmekicker und Nationalmannschaftskapitän Lothar Matthäus, 42. Bis zu seinem 39. Lebensjahr stand der wackere Franke auf dem Platz, und manche glaubten schon, man müsse das Rentenalter auch für Bundesligaspieler auf 67 Jahre heraufsetzen, da hörte Lothar aber dann doch noch auf und ging, beleidigt und gekränkt von den biologischen Gesetzmäßigkeiten, erst nach New York („Metro Stars“), dann als Trainer nach Wien („Rapid“) und schließlich nach Belgrad („Partizan“). Wo er im Übrigen gerade Landesmeister mit seiner Mannschaft geworden ist.
Man hätte ihn wohl heute schon vergessen, hätte er uns nicht noch eine Weile mit seinen Frauengeschichten unterhalten. Unvergessen der Filmrundgang durch seine von seiner zweiten Ehefrau Lolita Morena gerade verlassene Münchner Wohnung. Die Kamera hält auf ein Bücherregal mit französischer Literatur. „Sind das Ihre Bücher?“, und Lothar antwortet: „Ein Lothar Matthäus spricht nicht Französisch.“
Die Nächste hieß Maren Müller-Wohlfahrt und lebte mit ihm in New York. Damals musste „Lodda“ einmal vor die Presse treten und entschuldigte sich mit dem denkwürdigen Satz: „My English is not very good, my German is better.“ So viel nur zur Sprachbegabung, auf die gleich noch zurückzukommen sein wird.
Um die Liste zu komplettieren: Auf Maren folgte Ulrike, auf Ulrike Mitra, auf Mitra Giulia, aber die war erst 17 Jahre alt und hatte noch keinen Führerschein, was den Lothar gewundert hat, weil er glaubte, sie sei schon 19. Dann waren da noch das „Teppichluder“, eine Marina aus Düsseldorf („er wollte mich schon am ersten Tag heiraten“), und seit Matthäus in Belgrad ist, lohnt es sich nicht mehr, die Namen aufzuschreiben. Nicht weil es keine schönen Frauen wären, die er hier an seinen einsamen Abenden im „Cabaret Rose“ oder im „Acapulco“ treffen würde. Im Gegenteil. Aber es sind einfach zu viele.
Mehr noch als den Mann in sich entdeckte Lothar in diesem halben Jahr Belgrad den Serben in sich. Denn während in München dem einstigen Leistungsträger niemand eine Träne nachweint und FC-Bayern-Manager Karl-Heinz Rummenigge sogar nur noch von „Herrn M.“ spricht, lieben ihn die Menschen in der Balkan-Hauptstadt, und eine Zeitung bescheinigte ihm sogar schon: „Lothar Matthäus hat eine serbische Seele.“
Das muss ihn, den so oft Verspotteten, Verhöhnten und Abservierten („Sex mit ihm war nicht so gut“ – Ulrike Klaeger, 26) sehr gerührt haben. Endlich versteht man ihn, und die Medien sind voll des Lobes. So etwas hatte er lange nicht mehr erlebt. Zu einer Witzfigur hatten ihn die deutschen Medien gemacht. Vor ein paar Tagen brach dieser Hass auf die erlittene Schmach unvermittelt aus ihm heraus, als er ohne Begründung ein deutsches Fernsehteam auf einer Pressekonferenz des Saales verwies. War das der „Partizan“ in ihm?
Jedenfalls versprach Lothar Matthäus vor ein paar Tagen öffentlich: „Ich lerne Kyrillisch.“ Das ist zwar keine Sprache, sondern nur das Alphabet, in dem die Serben schreiben, aber bei seiner Begabung auf diesem Gebiet darf man da nicht zu kritisch sein. Lothar, der Serbe, außen ganz hart und innen so weich. Vielleicht hat da einer seinen Bestimmungsort gefunden, seine Heimat, sein „Danach“.
Das kyrillische P sieht jedenfalls aus wie ein Fußballtor.
Fragen zu Loddar?kolumne@taz.de