philipp maußhardt über Klatsch : Eingehüllt und eingewickelt
Paul Sahner ist der legitime Erbe des früheren Bundeskanzlers Kurt-Georg Kiesinger: Egal was er sagt, es klingt schön
Bei meinem im Freundeskreis sehr beliebten Ratespiel „Nenn mir die sieben Bundeskanzler“ wird meist einer vergessen: Kurt-Georg Kiesinger, der schönste Kanzler, den wir je hatten. Einer offenbar, der nur wenige Spuren im kollektiven Bewusstsein hinterließ, an den ich mich aber persönlich sehr gut erinnern kann, weil er schuld an einer Ohrfeige war, die sich gewaschen hatte. Kiesinger sprach während des Wahlkampfs 1969 in der Reutlinger Fußgängerzone, was ich, indoktriniert vom Elternhaus, unbedingt mit meiner Trillerpfeife verhindern wollte. So schnell konnte ich aber gar nicht pfeifen, wie mir ein örtlicher CDU-Funktionär die Pfeife aus der Gosch schlug.
Jahre später, da war Kiesinger schon eine Weile tot, ist mir sein Geist in einer Tübinger Trödelhandlung noch einmal begegnet. Der ganze Laden war voll gestellt mit unnützem Zeug, das ausländische Staatsgäste bei ihren Besuchen dem Bundeskanzler mitgebracht hatten. Ich überlegte kurz, ob ich den Paravent, den Kiesinger vom japanischen Kaiser erhalten hatte, kaufen sollte. Aber er hatte ein Loch und war scheußlich. Überhaupt: Wer noch Zweifel hatte, dass hohe Regierungsämter vor Geschmacklosigkeit schützen, wurde in der Trödelhandlung Heck in der Tübinger Hafengasse eines anderen belehrt. Witwe Kiesinger hatten ihren Keller entrümpelt, und so kamen die Zinnteller, Glaskrüge, Ölgemälde und der ganze Mist ans Licht.
Vergessen und entrümpelt. An manchen Todestagen hat die lokale CDU sogar schon das Sterbedatum dieses großen Staatsmannes verschlampert, und dann stehe ich ganz allein am Grab von Kurt-Georg Kiesinger auf dem alten Tübinger Stadtfriedhof und sage: „Geschieht dir recht, dass du seinerzeit von Beate Klarsfeld auch eine Ohrfeige bekommen hast.“
Worauf ich aber eigentlich hinauswollte: Kurt-Georg Kiesinger trug einen Beinamen, „König Silberzunge“, weil – egal was er auch sagte – es so wunderschön klang. Auch wenn sich an den Inhalt seiner Reden kaum jemand erinnerte, so blieb doch bei allen das Gefühl zurück, niemand hätte es besser sagen können.
Als ich bei Bunte den großen Interviewer Paul Sahner bei der Arbeit beobachten durfte, kam mir unwillkürlich „König Silberzunge“ wieder in den Sinn. Sahner ist ein Markenzeichen und steht für Frage und Antwort aus dem Innenleben prominenter Mitmenschen. Rudolf Scharping vertraute ihm auf Mallorca seine Gefühle zu Gräfin Pilati an und in London Angela Ermakowa ihre Besenkammer-Erlebnisse. Paul Sahner besitzt die Gabe, Menschen zum Reden zu bringen, die eigentlich gar nichts sagen wollten. Und ich glaube, es liegt an seiner Stimme. Ein wenig tief, akzentfrei, kräftig und doch weich. Eben „König Silberzunge“. Wenn ich als Journalist wieder einmal versagte und die Witwe eines soeben tödlich verunglückten Sportlers mich am Telefon nicht einmal meinen Namen aussprechen ließ, ging ich ins Nachbarzimmer zu Paule. Der schaffte es. Der brachte sie zum Reden. „Hier ist Paul Sahner von Bunte, darf ich Ihnen zunächst einmal mein herzliches Beileid aussprechen“ … und schon hatte er sie.
Im Klang dieser Sahner-Stimme fühlen sich die Menschen geborgen wie auf einer Flokatidecke. Eingehüllt und eingewickelt.
Es gibt nicht wenige Stars, die auf die Anfrage nach einem Interviewtermin antworten: „Aber bitte mit Sahner.“ Denn der schöne Westfale ist mehr als nur ein Fragesteller, ja vielleicht so etwas wie ein Therapeut, dem man sich anvertraut. Es bleibt ja unter uns. Wahrscheinlich sind die meisten der befragten Stars sogar ein wenig überrascht, wenn hinterher alles in der Zeitung steht, was sie gesagt haben.
Doch was ist los? Möglich, dass es mir entgangen ist. Möglich auch, dass sich die Outing-Bereitschaft der Prominenten analog zum Börsenkurs verhält. Jedenfalls gibt es seit langem keine wirklichen Überraschungsinterviews mehr zu lesen. Vor nicht langer Zeit, da hätte am anderen Donnerstag in Bunte gestanden, was Bärbel Schäfer zu Drogen und ihrem Freund Michel Friedman denkt. Martina Effenberg hätte am Tag nach der Buchveröffentlichung ihres Stefans durch Paul Sahner in Bunte gekontert: „Warum ich ihm das nie verzeihen werde.“ Barbara Becker: „Wie ich auch vier Jahre nach der Trennung noch immer an IHN denke.“ Von mir aus auch Kardinal Lehmann: „Sex ist mir nicht fremd.“ Und auch Frau Möllemann wäre gefragt. Denn: Dieser Sommer droht heiß und langweilig zu werden, Friedman allein kann uns nicht retten.
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