peters paradisebemerkenswerte szenen am potsdamer platz: Kategorien der Bewertung
Nach fünf Tagen im Dunkel der Lichtspielhäuser soll nun die erste Wettbewerbshälfte kurz rekapituliert werden: Tykwers „Heaven“ war nach allgemeiner Einschätzung „wirr“, Kolleks „Bridget“ recht „seltsam“ und „Beneath Clouds“ irgendwie „nett“. Marc Forsters „Monster’s Ball“ erhielt das Prädikat „bemerkenswert“, was unter den Bedingungen eines Festivals meist mehr wert ist als „wirr“, „seltsam“ und „nett“ zusammen.
Auf der Pressekonferenz wurde „Monster’s Ball“- Hauptdarstellerin Halle Berry gefragt, wie sie sich für die Sexszene körperlich fit gemacht habe. Die Antwort, dass sie sich eigentlich nicht fit gemacht habe, wurde mit Erstaunen notiert und ebenfalls als „bemerkenswert“ eingestuft – auch von jenen, die Fragen zu Fitness und Sexszenen bei einem „bemerkenswerten“ Film über die Todesstrafe schon als solche für „bemerkenswert“ halten. Interessant!
Francois Ozons „8 Femmes“ befand man allgemein für „gut“. Man muss allerdings darauf hinweisen, dass „gut“, gerade unter den Bedingungen eines Festivals, nicht zwangsläufig besser ist als „wirr“. Es ist bestimmt nicht besser als „seltsam“, allerdings ist es unter Umständen ebenbürtig mit „nett“.
Jemand gab zu bedenken, dass der Film viel Spaß gemacht habe – vielleicht sogar zu viel Spaß, gerade unter dem Eindruck des 11. Septembers. Leute, die Filme, die sie „gut“ finden, nicht „gut“ genug für ein Festival finden, gerade weil sie sie „gut“ finden – zumal dann nicht, wenn sie sich nach dem so genannten 11. September unterhalten fühlen –, solche Leute nennt man gemeinhin Cineasten. Weil Catherine Deneuve, die auch nach dem 11. September, an dem sich ja bekanntlich alles geändert hat, verblüffenderweise immer noch Schauspielerin ist, berufsbedingt mit so genannten Cineasten zu tun hat, ließ sie sie bei der „8 Femmes“-Pressekonferenz fast eine Stunde lang warten. Gern spendete man ihr für diese weise Entscheidung Beifall.
Schön war auch die Sonnenbrille, die sie auf der Nase balancierte, gern hätte man sie noch länger betrachtet. Doch um nicht zu erleben, dass ein so genannter Cineast die unvermeidliche Frage stellt, wie es denn für sie, die Deneuve, gewesen sei, die Ardant für diesen Film auf den Mund zu küssen, verlässt man lieber den Saal. Wie war es für Sie, Madame? – Nein, das will man dann doch nicht hören.
Doch wo geht man dann hin? Wie jedes Jahr laden die Berlinale-Sponsoren auch dieses Jahr wieder in ihre exklusiven Lounges, die sie rund um das Epizentrum der Filmkunst eingerichtet haben. Hier geht es nicht anders zu wie außerhalb der Lounges auch. Damit das aber niemandem auffällt, wurden freundliche Hostessen dazu abgerichtet, den Zugang unnötig zu erschweren. Dabei ist es bemerkenswert, mit welch rhetorischem Einsatz sich manche in die Lounges hineinreden, in denen, wie beispielsweise in der Premiere-World-Lounge im Sony Center, der Cappuccino 2 Euro 80 kostet. Nirgends wird die Finanzkrise des Kirch-Konzerns derzeit greifbarer als bei einer Tasse seines ausgeschenkten Kaffees. Während es sich tagsüber empfiehlt, die Berlinale-Lounges zu meiden, gilt es abends, die üblichen Premierenpartys zu umgehen: Für sie spricht überhaupt nur das kostenfreie Alkoholangebot, dass es einem ermöglicht, sich sehr schnell zu betrinken, damit man das Elend, das Filmpartys in der Regel verströmen, beizeiten übersieht. Die Einzigen, die auf Filmpartys Spaß haben, sind die unvermeidlichen Soap-Darsteller, die glauben, es geschafft zu haben, nur weil sie eingeladen wurden. Sie scharen sich um Produzenten, die in der Öffentlichkeit Zigarren rauchen, und werden dabei von Cineasten beobachtet, die meinen, dass hier etwas passiert. So vergeht am Potsdamer Platz die Zeit im Flug.HARALD PETERS
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