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Archiv-Artikel

passagen Verzweifelte Suche nach der süßen Essenz des Lebens

„Die Welt des Süßen“. Im Kontext der Kölner „Passagen“, die gestern begannen, hört sich das nach Food Design an. Ist es auch, aber nicht nur. Im Showroom am Hohenzollernring präsentiert das edle italienische Küchenstudio Schiffini (Küche – Essen – Süßkram – keine weiteren Fragen) die Ausstellung „dolcevita“.

Zu sehen sind 68 nummerierte Kartons. Auf Küchenmöbeln, auf dem Fußboden, in den Ecken stehen sie offen herum, lauter Schatzkästchen des Süßen. Per Folder geht es auf Expedition hinein ins süße Universum. Natürlich enthält ein Großteil der Pappschachteln designte Lebensmittel, darunter echte Klassiker. Wie zum Beispiel den Toblerone-Riegel. Wer weiß schon, dass die kleinen Matterhörner aus Schokolade bereits 1908 von Theodor Tobler erfunden wurden? Oder die gemeine Eistüte: Hier lernen wir, dass sie korrekt „stützende Waffel für Eis und Ähnliches“ heißt, Patentnummer 88374 vom 28.10.1963.

Ähnlich patent und dabei viel jünger sind Untertasse und Teelöffel von der Design-Fakultät der Universität Bozen, entworfen 2003. Wie schon die Stützwaffel sind auch sie nach Gebrauch aufzuessen. Enrico Azzimonti und Jordi Pigem lassen Zuckerschiffchen in einem Meer aus Kaffee untergehen (2003), Miriam Mirri entwirft für Alessi Zuckerdosen in Bonbonform (2004).

Warum der Hype des Süßen, gerade jetzt? Wird Glukose in harten Zeiten zur Modedroge? Träumen immer mehr Hartz IV-Empfänger von „la dolce vita“ und haben dabei immer mehr Zeit, dem Zucker beim Versinken in der Tasse zuzusehen? Die Ausstellung bei Schiffini gibt keine Antwort, geht aber mit manchen Exponaten augenzwinkernd über bloßen Design-Schnickschnack hinaus und versucht, das süße Leben im Ganzen zu erfassen. Denn die Kehrseite der Süße heißt Sünde: „Sin“ steht auf einer Praline von Joe Velluto (2004) und lenkt den Blick auf die Unmoral des Süßen in einer Welt aus Fitnesswahn und Leistungsethos. Vellutos Kreation ist da konsequent: eine Hohlpraline, diätkompatibel und kalorienarm.

Doch nicht nur süßes Essen ist Teil des Dolce Vita, auch süße Düfte und süßes Aussehen gehören dazu. Kosmetikverpackungen in Lutscherform und Schokoladenduftbäumchen fürs Auto spiegeln unsere verzweifelte Suche nach der süßen Essenz eines Lebens, das so süß leider nicht ist. Eine Show zum Schmunzeln und zum Kopfschütteln, zum sich Wundern und zum süßen Träumen, bevor es draußen wieder nach schalem Alltag schmeckt.

Holger Möhlmann

„dolcevita – die Welt des Süßen“: Schiffini Showroom, Hohenzollernring 103, bis 23.1., tägl. 10-21 Uhr