pampuchs tagebuch: Zeitlos wie einst Robinson auf seiner Insel
Bei größeren und abenteuerlichen Reisen in der analogen Welt empfiehlt sich – zur Beruhigung des Redakteurs wie der eigenen Seele – das Abfassen einer zeitlosen Kolumne. Sicher in Berlin im Rechner des braven Redakteurs gespeichert, wartet sie langsam reifend auf ihre Veröffentlichung in zwei, ja vielleicht sogar erst drei Wochen – je nachdem ob die Berliner Allerheiligen als ernsthaften Feiertag begehen (wozu wir Bayern dringend ratend) oder nicht, die Donnerstag-taz also erscheint oder eben nicht. Das aber herauszubekommen sieht sich der Verantwortliche dieser Seite wegen unaufschiebbarer Produktionserfordernisse gerade jetzt, da ich diese Kolumne schreibe, nicht in der Lage. Von zeitloser Schönheit muss sie daher sein, und so fliege denn, liebe Kolumne, einer ungewissen Zukunft entgegen. Ich jedenfalls werde, wenn du niederkommst, entweder in der wilden Silberstadt Potosí – über 4.000 Meter hoch – weilen, wofern es Allerheiligen ist, oder aber – falls es eine Woche später sein sollte – auf der Sonneninsel im Titicacasee, nur unwesentlich tiefer, aber – der Legende nach – immerhin am Ursprung des Inkareiches.
Der aufmerksame taz-Leser weiß an dieser Stelle, dass sich der Kolumnist nach Bolivien aufgemacht hat. Und zwar – nicht nur, aber auch –, um an der von ihm mit angeregten „taz-Leserreise Bolivien“ (mit Anschlussprogramm Cusco, Peru) teilzunehmen.
Nun hätte man verabreden können, dass ich live von den jeweiligen Höhepunkten der Reise berichte. Die südamerikanischen Länder verfügen über ein ausgezeichnetes Internetcafés-System, und außerdem nehme ich mein Kistchen sowieso mit. In Copacabana, am Titicacasee, habe ich vor einigen Monaten eines der schönsten und geschmackvollsten Cybercafés entdeckt, von dessen Gediegenheit sich so manche öffentliche deutsche Computerklitsche einiges abschneiden könnte. An mangelnden technischen Voraussetzungen also liegt es nicht, dass ich hier vorproduziere. Doch – und damit kommen wir zum eigentlichen Thema – wollen wir wirklich, dass so etwas Exotisches wie eine „taz- Leserreise“ mit gehetzter Feder rapportiert wird? Da verschlucken wir uns doch derzeit ohnehin schon an jenen mit heißer Nadel gestrickten Kriegsberichten, wie sie von allen Seiten täglich aus einer anderen wilden Berggegend über uns hereinbrechen.
Nein, diese Internetgeschwindigkeit allenthalben, die wollen wir nicht und die brauchen wir auch nicht. Es ist noch gar nicht lange her, da war man richtig schön aus der Welt, wenn man aufbrach nach Südamerika. Man kehrte heim wie Odysseus oder Robinson, angefüllt mit Abenteuern in einer unbekannten Fremde, bereit, lange, ausführlich und gründlich davon zu berichten: Odyssee eben oder wenigstens Robinsonade. Und das sollen wir jetzt aufgeben mit flotten Häppchen aus dem Cybercafé Copacabana, flinken Mails aus der Salzwüste Uyuni, hurtigen Schnellschüssen aus den Minen von Potosí? Nix da. Vielleicht werden wir gelegentlich mal reingucken ins Netz, so ganz aus der Welt zu sein kann man sich in diesen düsteren Zeiten ja kaum leisten. Aber sonst wollen wir zuerst etwas erleben und es verdauen, statt es gleich aus dem bolivianischen Hoch- oder Tiefland um die halbe Welt zu trompeten. Die taz-Leserreise soll ein Gesamterlebnis werden, eine Begegnung mit einem schönen, fernen Land und seinen Leuten. Das braucht Zeit und Ruhe. Da stört es, am Rockzipfel des Internets zu hängen. Erzählen und berichten, schwadronieren und schwärmen von der Reise, das können wir später.
Oder eben vorher, wie hier vom trauten München aus in der Nacht vor der Abreise. THOMAS PAMPUCH
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