ortstermin: Mit Mutter Meese und ihrem Sohn im Museum : Moby Dick und dicke Eier
In der Reihe „Ortstermin“ besuchen AutorInnen der taz nord ausgewählte Schauplätze am Rande des Nachrichtenstroms
Im Foyer merkt man gleich: Hier passiert etwas ganz Großes. Draußen vor dem Museum regnet es und es ist ziemlich dunkel. Drinnen gibt es Sekt und Wein und Bier, und viele junge Menschen versuchen ihre Mäntel an der Garderobe abzugeben. „Tut mir leid, wegen dem Dings ist hier alles voll“, sagt der Mann an der Garderobe und schickt die jungen Menschen mit ihren erwartungsfrohen Gesichtern und ihren Mänteln in den ersten Stock. Der Dings, das ist der Jonathan Meese und seine Stimme tönt lautsprecherverstärkt aus dem ersten Stock des Museums bis ins Erdgeschoss. „ Schiffe“, sagt er und irgendwas über „Kunst, Captain Ahab, Moby Dick, Mannschaft und dicke Eier“.
„Date the Museum“ heißt die Veranstaltung, zu der das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe (MKG) neuerdings einmal im Monat einlädt – ein Angebot für junge Menschen, hervorgegangen aus einem Seminar, das das Museum für Studierende der Kunstgeschichte und Museumskunde an der Universität Hamburg angeboten hat. Seitdem trifft sich eine Runde engagierter Studentinnen einmal in der Woche und bereitet das nächste Event vor, um ihren Altersgenossen Kunst, Gewerbe und Museum näherzubringen. Heute also ein Abend mit dem Dings, mit Jonathan Meese.
Meese ist 38 und Künstler. Er stellt in London aus, in Paris und in Bielefeld. Im MKG ist derzeit die bizarre Ausstellung „24 h Jonathan Meese fotografiert von Peter Hönnemann“ zu sehen. Der langhaarige, fusselbärtige Dings starrt von allen Wänden. Mittendrin stehen Peter Hönnemann und Jonathan Meese und artikulieren feucht ins Mikrofon. „Kunst, du bist die Macht“, ruft Meese ins Publikum. „Ich bin die Ameise, die dir dient!“
Es werden schon weit mehr als 200 junge Menschen sein, die diesen Worten lauschen: Schöne Frauen mit karierten Röcken, Jeans-in-Stiefel-Trägerinnen und ein paar wenige junge Männer mit Cordsackos, die selbst in der mittlerweile muffigen Museumsluft ihren Schal nicht ablegen. Die Frauen sind eindeutig in der Überzahl. Die schönen vor allem. Den Blick starr auf Hönnemann und Meese gerichtet, die Arme vor dem Oberkörper verschränkt, lauschen sie den Sätzen, die da aus der Verstärkeranlage quellen. „Wenn der Mensch die Finger aus dem Spiel lässt, entsteht Kunst“, sagt Meese. Der Fotograf Hönnemann genießt den Auftritt vor den schönen Frauen ganz offensichtlich. Er performt das Stück „der coole Typ mit den flotten Sprüchen auf der Studentenparty“, legt männerfreundschaftkumpelig seinen Arm um Meese und erzählt dem Mikrofon vom „Glück, dass wir uns getroffen haben“. Meese hat derweil noch anderes zu sagen: „Wir sind nicht frei! Wie kann etwas frei sein, das aufs Klo gehen muss? Aber das ist gar nicht schlimm. Verdauung ist doch gut.“ Die schönen Frauen sind immer noch sehr interessiert, nur aus dem Treppenhaus ruft einer „Klappe halten, Mann!“
Vor der Theke, die die engagierten Studentinnen aufgebaut haben, um Sekt, Wein und Bier zu verkaufen, wird die Captain-Ahab-Metapher erklärt: „Ahab ist die Kunst, Moby Dick ist halt da“, sagt eine Frau. „Leck mich am Arsch, das ist doch krass, wie lang das dauert, oder?“, sagt eine andere und blickt in die Runde. Meese redet seit 90 Minuten. „Was gibt es Pornografischeres als das, was dir jeden Morgen im Spiegel entgegen seiert?“, fragt er, während er zwischen den mannshohen Fotografien seiner Visage auf und ab geht.
An der Theke verbreitet derweil der Museums-Praktikant interessante Neuigkeiten: „Die Mutter von dem Meese, die sitzt unten am Infopoint. Doch, echt jetzt.“ Und irgendwie passt das auch ganz gut, weil der Meese und die Mutter Meese angeblich ja auch zusammen wohnen. Da kann seine Mama auch mal die Besucher im Museum informieren. Und während die Frauen anfangen darüber nachzudenken, ob der Typ mit dem Fusselbart, den langen Haaren, dem olivgrünen Parker und dem Astra in der Hand – der Typ, der da vorne an der Säule lehnt, ob das nicht der Bruder von dem Meese ist, sagt der echte Meese über Lautsprecher den besten Satz des Abends: „Ein Busfahrer hat seinen geilen Bus auf die absolut geilste Art und Weise zu fahren, die es gibt.“ Die Frauen nicken. PHILIPP DUDEK