ortstermin: In Celle wurde am Wochenende erstmals die „Miss Barock“ gewählt : Frauenkörper und Klappergestell
In der Reihe „Ortstermin“ besuchen Autoren der taz nord ausgewählte Schauplätze am Rande des Nachrichtenstroms
Wer als kleiner Junge fasziniert vorm Fernseher saß, als die Perücken tragenden Klassik-Popper von „Rondo Veneziano“ in glitzernden Kostümen durchs Vorabendprogramm geisterten, kann verstehen, warum rund 200 junge Frauen aus ganz Deutschland bei einem Wettbewerb mit dem Namen „Miss Barock“ mitmachen wollen. Die 25 Auserwählten, die zunächst beim Vorentscheid der Niedersächsinnen über den Laufsteg defilieren dürfen, geben allesamt ein Motiv an: einmal Märchenkostüme tragen oder sich gar „wie eine Prinzessin“ fühlen.
Die „Tourismus Region Celle“, die den Fremdenverkehr in der Südheide vermarktet, hatte am Wochenende zur Wahl der „Miss Barock“ aufgerufen, um damit für das Celler Altstadtfest zu werben. Zwischen Renaissance-Schloss, 400 Fachwerkbauten und vermutlich ebenso vielen Würstchenbuden bewegen sich die Bewerberinnen in phantasievollen Kostümen über eine Show-Bühne. Zu der Musik von – na klar – Rondo Veneziano und beäugt von einer Prominentenjury, in der auch der in Celle geborene Travestit Lilo Wanders sitzt.
Junge Frauen um die 20. Die meisten Auszubildende oder Schülerinnen. Viele freundlich, manche etwas hochnäsig. Einige ganz natürlich, andere aufgebrezelt mit zentimeterdicker Schminke und tonnenweise Haarspray. Rebecca Wolf aus Buxtehude fällt aus dem Rahmen. Während andere Bewerberinnen als Hobby tatsächlich „mein Freund“ angeben, interessiert sich die 17-Jährige für Geschichte und alte Schlösser. Das hilft ihr beim Barock-Quiz, nicht aber aufs Siegertreppchen. Auch optisch entspricht Rebecca nicht gerade dem Klischee von dem Mädchen, das an einer Miss-Wahl teilnimmt. Bereits beim „check in“ taucht sie in spitzenverziertem Kleid und einem schwarzen Dreispitz-Hut auf. „So sehe ich immer aus“, sagt sie. Viele nennen sie einen „Grufti“, jugendkulturell korrekt möchte sie aber als „Metall“ bezeichnet werden, weil sie die entsprechende Musik hört.
Mit 27 Jahren die älteste Teilnehmerin ist Karin Lämmerhirt aus Adelheidsdorf bei Celle. Die Beamtin ist „etwas weiblicher geformt“, wie sie sagt. Und: „Misswahlen sind immer was für Klappergestelle. Barockkostüme sind für Frauenkörper gemacht worden, nicht für Spargeltarzane.“
Klassische Barock-Roben dürfen die Teilnehmerinnen allerdings nicht anziehen. Sie tragen Entwürfe von Absolventen einer hannoverschen Modeschule. Deren Interpretationen davon, was unter Barock zu verstehen ist, gehen weit auseinander. Federleicht wirkt etwa ein Reifrock mit Korsage, Pfauenfedern und viel Organza. An ein mit Schleifen umwickeltes Schokoladen-Osterei erinnert eine Kreation in der Farbe Mauve. Gut geeignet wäre es auch, damit einen Werbe-Bunny der Bonbon-Marke „Quality Street“ zu bekleiden.
Während die meisten Teilnehmerinnen am Regionalentscheid aus Spaß an der Freude mitmachen, meinen es die Aspirantinnen auf den Bundestitel ernster. Viele haben schon gemodelt. Patricia aus Solingen ist in diversen Schauspieler-Karteien, war Darstellerin bei „Richterin Barbara Salesch“ und ist in der Planung für eine „Modenschau für kleine kurvige Models“. Bei einer „Miss Zöpfchen“-Wahl schaffte sie es schon als Kind unter die Top Ten. Auch Nancy aus Thüringen ist bereits „Werbegirl“ und hat Fotoshootings hinter sich. Und Carmen aus Schleswig-Holstein hat sogar bei Werbespots fürs Fernsehen mitgemacht.
Den Titel „Miss Barock“, eine Reise und Geld holt sich allerdings Alessandra Remitschka aus Aschersleben in Sachsen-Anhalt, obwohl sie sich gar nicht beworben hatte. Die 21-Jährige war kurzerhand für ihr Bundesland eingesprungen, weil die eigentliche Bewerberin abgesagt hatte. Der größte Gewinner dürfte indes die „Tourismus Region Celle“ sein. Rund 80.000 Besucher an zwei Tagen zählt das Altstadtfest, das durch das Medienecho auf diesen Wettbewerb ordentlich Werbung bekommen hat. LUKAS SANDER