orte des wissens: Doppelter Druck macht Platt platt
Mit Broschüren, Förderung von Unterricht und Lobbying versucht das Niederdeutsch-Sekretariat die Minderheitensprache zu bewahren
Die Adresse ist stimmig. Am Heidi-Kabel-Platz 1, im Haus des Ohnsorg-Theaters gleich neben dem Hamburger Hauptbahnhof liegt das Büro des „Niederdeutschsekretariats“. Christiane Ehlers leitet es. „Plattdeutsch sprechen zwei Millionen Menschen im Land, sagt sie. „Seit der letzten Erhebung 2016 dürften es deutlich weniger sein.“
Ehlers diagnostiziert den doppelten Druck aufs Plattdeutsche – es gibt nicht nur immer weniger Sprecher:innen, auch wird es verdrängt durch ein komplett hochdeutsches Umfeld. Für neue Phänomene fehlt im Plattdeutschen die Entsprechung. Wenngleich die Küstenregionen ein günstiges Umfeld bieten, besonders die Westküste, bleibt Ehlers realistisch: „Die Sprachgrenze wird sich weiter nach Norden verschieben.“ Sie selbst, in Welt auf Eiderstedt geboren, wuchs mit Plattdeutsch auf.
Das 2017 gegründete Niederdeutschsekretariat arbeitet auf der Grundlage der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen. Sie schützt Dänisch, Sorbisch, Friesisch, das Romanes der deutschen Sinti und Roma sowie Niederdeutsch. Die Charta des Europarats trat vor 25 Jahren in Kraft und wurde von der Bundesrepublik ratifiziert. Die acht niederdeutschen Bundesländer – von der Oder bis Nordrhein-Westfalen, von der holländischen bis zur dänischen Grenze –, haben sich also zum Sprachenschutz verpflichtet. Und der ehrenamtlich tätige Bundesraat för Nedderdüütsch wacht darüber.
„Der ‚Bundesraat‘ hat überhaupt erst angeregt, Niederdeutsch als Schulfach einzurichten“, betont Christiane Ehlers, die Vorträge hält und auch Plattdeutsch-Kurse für Lehrkräfte gibt. Bildung sei am allerwichtigsten. Saskia Luther, Sprecherin des „Bundesraat för Nedderdüütsch“, sagt frei heraus: „Ohne einen gesteuerten Erwerb des Niederdeutschen wird der Erhalt der Sprache in etlichen Regionen nicht mehr funktionieren.“ In Schleswig-Holstein wird sie an 50 Modellschulen unterrichtet, in Mecklenburg-Vorpommern mit vier Profilschulen legten 2023 erstmals zwei Schülerinnen im Fach Niederdeutsch ihr Abitur ab. In Hamburg ist Plattdeutsch zwar seit 2010 Schulfach. Unklar sei aber, wo und von wie vielen Lehrkräften es unterrichtet werde, wie Ehlers bedauert.
Gemeinsam publizieren Niederdeutsch-Sekretariat und Bundesraat für Niederdeutsch die informativen Broschüren „Wat is Plattdüütsch?“ und „Plattdüütsch in de Familie. Tipps för junge Öllern“, ergänzt um die Online-Werkstatt „Plattdüütsche Optrecken“ über zweisprachige Erziehung. Da Familien das Niederdeutsche kaum noch tradieren, kann die kleine Sprache nur überleben, wenn sie möglichst vielfältig erfahren wird – in den Schulen, an den zehn Universitäten, die sie lehren und beforschen, aber auch im öffentlichen Raum, etwa durch zweisprachige Ortsschilder oder plattdeutsche Kulturangebote. Christiane Ehlers jedenfalls beobachtet ein wachsendes Interesse an Sprachkursen, auch stimuliert von TV und Musik: „Ina Müller ist da wichtig mit ihrer Ausstrahlung, oder Yared Dibaba. In Bremen hat die Hip-Hop-Band De fofftig Penns viel angestoßen.“
Seit Kurzem berichtet „Plattradio“ wochentags eine Stunde von 7 bis 8 Uhr über aktuelle Themen. Auch an solche Lockungen docken die Aktivitäten des Niederdeutschsekretariats an. Die Sicht aufs Niederdeutsche habe sich gewandelt, so Ehlers. „Lange galt es als einfache Bauernsprache, nun ist es anerkannt als wertvoller Bestandteil unserer Region.“
Christiane Ehlers, Leiterin des Niederdeutschsekretariats, über das Platt
Hat das Niederdeutsche eine Zukunft? Allein in Hamburg existieren mehrere plattdeutsche Vereinigungen und Initiativen. Das Niederdeutschsekretariat, finanziert vom Innenministerium, muss die Mittel für Christiane Ehlers und zwei Teilzeit-Kräfte jedes Jahr neu beantragen. Die für 2024 geplanten Kürzungen hat der Bund aber zurückgenommen.
Frauke Hamann
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