off-kino : Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
1949 erlebte der Regisseur Veit Harlan die bittersten Stunden seiner Karriere. Als einziger Künstler wurde er nach dem Krieg in zwei Prozessen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Ein Grund dafür war seine Regiearbeit „Jud Süß“ (1940), ein von Geschichtsverdrehungen und wüsten antisemitischen Klischees durchtränkter Historienfilm. Zweifellos ist „Jud Süß“ eine Arbeit im Auftrag des Propagandaministeriums gewesen, doch wie viel persönliche Schuld hatte Harlan dabei auf sich geladen? Beide Prozesse endeten 1950 mit einem Freispruch. Harlan – tatsächlich eher ein skrupelloser Karrierist als ein menschenverachtender Nazi – konnte weiterarbeiten. Doch er blieb eine Reizfigur, und bis heute verhindert die Diskussion um Harlans Schuld eine genauere Auseinandersetzung mit seinen Filmen. Die haben durchaus künstlerische Qualitäten: So finden etwa die oftmals überladenen Interieurs ihren Widerpart in Harlans Liebe zur Natur und seinem Gespür für Landschaften. Dieser Begeisterung für das Natürliche entspricht die Erotik seiner von ihm obsessiv in Szene gesetzten Hauptdarstellerin Kristina Söderbaum. In „Jud Süß“ geht diese Erotik allerdings eine unheilvolle Allianz mit der antisemitischen Propaganda ein: Die blonde arische Dorothea wird hier vom bösen Juden Süß Oppenheimer (Ferdinand Marian) vergewaltigt und geht deshalb in den Tod. Allerdings ist die Figur des Süß Oppenheimer nicht ganz so eindeutig angelegt, wie sie oft gesehen wurde: Harlan zeigt den Geldgeber des liederlichen Herzogs von Württemberg (Heinrich George) als einen Mann, der sich stets in einer Verteidigungsstellung gegen die antijüdischen Verordnungen seiner Zeit befindet.
Das Kontrastprogramm: In seiner Dokumentation „Nacht und Nebel“ begibt sich Alain Resnais zehn Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs in die Konzentrationslager der Nazis und filmt die Spuren des Grauens in einer Landschaft der Unkultur: Beharrlich fährt die Kamera die zum Lager führenden Schienenstränge ab, gleitet an verfallenen Baracken und den Öfen der Krematorien vorbei. Dazwischen schneidet Resnais die schwarzweißen Fotos und Filmmaterialien, die direkt nach der Befreiung aufgenommen wurden: Bilder von Leichenbergen und leidenden Häftlingen, Opfern von Zwangsarbeit und medizinischen Experimenten. Ein eindringlicher Diskurs wider das Vergessen.
In Orson Welles’ spätem Film noir „Touch of Evil“ verschwimmen wieder einmal die Grenzen zwischen Gut und Böse: Welles verkörpert einen Polizeiinspektor, der seine Fälle rein intuitiv löst und der Gerechtigkeit auf dubiose Weise zum Sieg verhilft. Weil die Täter selten geständig sind, produziert er einfach gefälschte Beweise. Das kann natürlich auf Dauer nicht gut gehen. Als besonders faszinierend erweist sich in dieser neoexpressionistischen Tour de Force die lange Anfangssequenz, die in einer einzigen Einstellung über Dächer hinweg und mit Fahrten durch Parallelstraßen den Weg eines Autos mit einer Bombe im Kofferraum verfolgt.
LARS PENNING