off-kino : Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
„You shall rest from life!“ Nur Boris Karloff konnte derartige Worte wie Drohung und Versprechen zugleich klingen lassen. Klar, er steht gerade als wiedererweckte Mumie mit einem Balsamiermesser im ägyptischen Museum in Kairo, neben sich den Kessel mit brodelnder Natronlauge und vor sich die schöne Helen (Zita Johann), die gleich zum Tode befördert werden soll, um sodann als Prinzessin Anck-es-en-Amon aufzuerstehen. Doch wer wollte schon an seiner wahrhaften, einige Jahrtausende überdauernden Liebe zweifeln? Karloff war nie ein Monster, sondern ein tragischer Held – weshalb das Publikum den Briten mit dem leichten Lispeln letztlich so liebte. Auch in „The Mummy“ (1932) ist Karloff fantastisch: eine schlanke, körperlich ganz fragile Gestalt, die zugleich jedoch mit quasi unbesiegbarem Willen und hypnotischen Kräften ausgestattet ist – es braucht schon eine ägyptische Göttin, um ihn letztlich zu vernichten. Mit dem Special-Effects-Horror-Remake (1999) hat das Original nur wenige gemein, vielmehr besticht der Film von Karl Freund durch subtile Lichtgebung und eine traumgleiche Atmosphäre. Den Amerikanern war das bereits in den 1930er-Jahren zu wenig actionreich – ein Erfolg wurde „The Mummy“ nicht. Aber ein Klassiker.
Ein Erfolg ist offensichtlich auch Xavier Beauvois’ Polizeifilm „Eine fatale Entscheidung“ nicht: Eben ins Kino gekommen, ist er kaum noch irgendwo zu sehen. Doch das Publikum verpasst einen der besten Filme des Jahres: ein realistisches Drama um den Alltag zweier Polizisten, die jeweils an einem Wendepunkt in ihrem Arbeitsleben stehen. Antoine kommt frisch von der Polizeischule in Le Havre in die Metropole Paris und blickt mit der Neugier und der Naivität des Anfängers auf seinen Beruf. Kommissarin Vaudieu hingegen hat die Illusionen schon hinter sich gelassen – sie kehrt nach einem Alkoholentzug und drei Jahren Schreibtischarbeit auf einen Posten als Ermittlungsbeamtin zurück. Das Schicksal seiner Protagonisten dient Beauvois dabei vor allem als Anlass, detailgetreu den Polizeialltag zu schildern: Wie verläuft die Ausgabe der Dienstwaffe? Worüber reden sie, was denken sie? Mit welchen Verbrechen haben sie zu tun? Man ist dabei, wenn gefeiert wird und wenn in der Pathologie die Knochen knacken: Typen und Dialoge sind dank sorgfältiger Recherchen stimmig wie selten.
Der beste Film über die Urlaubszeit ist immer noch Jacques Tatis „Die Ferien des Monsieur Hulot“ (1953): Mit linkischem Charme und penetranter Hilfsbereitschaft enerviert der liebenswerte Chaot die Gäste eines französischen Badeortes, in dem der Urlaub genauso geregelt ist wie sonst das Arbeitsleben: Eine Glocke ruft zu regelmäßigen Mahlzeiten, ein Badegast hängt permanent am Telefon, um seine Geschäfte zu regeln, und ein ehemaliger Major leitet ein Picknick wie ein militärisches Manöver. Nur Hulot nimmt die Ferien wirklich ernst, was ihm allerdings (fast) niemand dankt: Hulots unfreiwillig anarchischer Kampf gegen die Effizienz und Kälte der „modernen“ Welt war Tatis Dauerthema.
Lars Penning