off-kino : Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
Die ersten epischen Western, die mit großem Erzählgestus die Pioniertaten bei der Erschließung des amerikanischen Westens würdigten, entstanden in den Jahren 1923/24. James Cruze’ „The Covered Wagon“ (1923) beschreibt die Reise eines Planwagentrecks nach Kalifornien; ein Jahr später folgte in dem neuen Format John Fords „The Iron Horse“, der vom Bau der transkontinentalen Eisenbahn in den 1860er-Jahren erzählt. Den dramatisierten Blick auf die historischen Ereignisse verbindet Ford mit der Geschichte des Scouts Davy (George O’Brien), der mit seiner Arbeit für die Eisenbahn das Vermächtnis seines getöteten Vaters erfüllt und dabei unwissentlich auf den Killer stößt. Der epische Erzählimpetus erlaubt es Ford allerdings, seinen Helden auch einmal für eine halbe Stunde aus den Augen zu verlieren und vom Leben der Bahnarbeiter zu berichten: wie sie schuften, schwitzen und von Indianern überfallen werden (und anschließend so tun, als sei nichts gewesen). Tragisches und Heiteres liegen dabei für Ford stets eng beisammen, was dem Film eine sehr gelassene Grundhaltung verleiht, auch im Umgang mit dem Tod.
Eine reichlich makabre Zeichentrickkomödie: „Das große Rennen von Belleville“ erzählt von dem gekidnappten Tour-de-France-Teilnehmer Champion, der von seiner resoluten Großmutter, dem Hund Bruno und einem sagenumwobenen Revuetrio aus den Goldenen Zwanzigern aus den Fängen der Mafia befreit wird. Seine Protagonisten hat der französische Regisseur Sylvain Chomet dabei in origineller Weise überzeichnet, indem er sie auf das Wesentliche reduziert: So scheinen die Radfahrer fast ausschließlich aus gewaltigen Oberschenkeln zu bestehen, während die Schurken als massive und bedrohliche schwarze Kästen daherkommen. Die Stadt Belleville, in die der arme Champion verschleppt wird, ist hingegen mit den superschlanken Gebäuden und ihren superfetten Bewohnern eine böse Parodie auf New York: Die Freiheitsstatue reckt mit der einen Hand eine Eistüte gen Himmel, in der anderen Hand hält sie einen dicken Hamburger. Überhaupt muss sich unsere moderne Zivilisation allerlei ironische Kritik gefallen lassen, und die Gags sind wirklich lustig: Da wird dann die Tour de France beispielsweise von „Walküren-Käse“ gesponsert.
In einer kleinen Reihe mit Thomas-Mann-Verfilmungen zeigt das Lichtblick-Kino Hans W. Geißendörfers „Der Zauberberg“: das Gesellschaftsporträt einer verlorenen Zeit, in dem die Kamera von Michael Ballhaus elegant durch die Speisesäle und Salons eines Schweizer Berg-Sanatoriums gleitet, in dem der unbedarfte Hans Castorp eigentlich nur seinen Cousin besuchen wollte, um schließlich sieben Jahre bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs zu bleiben. In der Zwischenzeit wird der reine Tor von einem Humanisten und von einem Jesuiten erzogen, und er muss sich mit Krankheit, Körperlichkeit, Tod und Liebe auseinandersetzen. Den schauspielerischen Glanzpunkt des Films setzt Hans Christian Blech als aufgeräumter Chefarzt Behrens.
Lars Penning