off-kino: Filme aus dem Archiv – Frisch gesichtet
Jeff Beck war über die Rolle, die seine Band The Yardbirds in „Blow Up“ spielen sollte, nicht sonderlich erbaut. Regisseur Michelangelo Antonioni habe die Musiker wohl mit The Who und ihn selbst mit Pete Townshend verwechselt, maulte der Stargitarrist und beklagte sich darüber, dass er beim Auftritt vor einem seltsam regungslosen Publikum sein Instrument zertrümmern sollte. Im Übrigen hielt der Musiker den Film, der mit seiner Geschichte um die extrem grobkörnige Vergrößerung eines Fotos, das vielleicht einen Mord zeigt, zu einer Art Vexierbild wird, in dem sich die Realität nur noch schwer fassen lässt, sowieso für prätentiösen Mist. Antonioni hatte mit „Blow Up“ (1966) wohl vor allem eine Kritik an der Oberflächlichkeit einer ganzen Generation im Sinn – doch aus heutiger Sicht sind es genau die gelackten Welten mit ihren leuchtenden Oberflächen, der Carnaby-Street-Mode und den Kifferpartys, durch die sich David Hemmings als hipper Modefotograf in London bewegt, die den Reiz eines Films ausmachen, der eine spannende Übergangsperiode markiert: von der naiv-fröhlichen Unschuld der „Swinging Sixtys“ zur frühpsychedelischen Ära.
„Blow Up“ (OmU) 16. 1. im Arsenal 2
***Ein Jahr zuvor hatte Jean-Luc Godard Bilder einer anderen europäischen Metropole verwendet, um zu beweisen, dass Science-Fiction nicht unbedingt etwas mit aufwändigen Specialrffects zu tun haben muss: Für seine „Alphaville“, jene von einem Supercomputer beherrschte Zukunftsstadt, in der Liebe und Poesie von einer Diktatur der Logik verdrängt worden sind, filmten der Regisseur und sein Kameramann Raoul Coutard im nächtlichen, winterlichen Paris des Jahres 1965. Die Zukunftsvision entsteht durch die Verfremdung der Realität: das Esso-Verwaltungsgebäude im seinerzeit neuen Viertel La Defense wird mit seiner modernen Glas- und Stahlarchitektur zur Zentrale der Macht umfunktioniert, und ein irreal beleuchtetes Hallenbad dient als Schauplatz für die Aufführung einer Massenhinrichtung mit Wasserballett. Selbst der Computer Alpha 60, der von Geheimagent Lemmy Caution (Eddie Constantine) schließlich mit einer simplen Frage besiegt wird, war nach Godards eigener Aussage nicht anderes als ein von unten angeleuchteter Philips-Ventilator für drei Dollar, fotografiert durch das Gitter eines Lüftungsschachtes.
„Alphaville“ (OmU) 10. 1.–16. 1. im Blow Up 2, im FSK und im Kant 3
***Er würde viel über die Filme von David Cronenberg nachdenken, hat Martin Scorsese einmal gesagt und hinzugefügt, er wünschte, das wäre nicht so. Konkret bezog der Maestro seine Äußerung auf Cronenbergs Frühwerk „Shivers“ (Parasiten-Mörder, 1975), in dem ein skrupelloser Wissenschaftler einen Selbstversuch mit schleimigen Würmern unternimmt, die sexuelle Lust steigern sollen. Leider gerät die Sache außer Kontrolle und löst bei den Bewohnern eines Apartmentkomplexes eine unkontrollierbare erotische Raserei aus. Die kleinen Parasiten lauern überall: Sie kommen durch den Abfluss der Badewanne gekrochen, fallen alten Damen auf den Regenschirm („Oops, the birdies!“), springen aus der Waschmaschine und sitzen in der Kehle der Freundin. Das klingt ein wenig albern, evoziert jedoch prächtig die eigenen Ängste vor der Verwundbarkeit des menschlichen Körpers und ist ebenso unvergesslich wie die schmuddelige Low-Budget-Trash-Ästhetik des Films, an dessen Ende eine apokalyptische Vision steht: Als alle Bewohner schließlich infiziert sind, ziehen sie in die Welt hinaus.
Wer sich über die Horror-, Gore- und Splatterfilme der Siebzigerjahre weitergehend informieren möchte, dem sei an dieser Stelle auch „The American Nightmare“ ans Herz gelegt: In seiner Dokumentation spürt Adam Simon vor allem den gesellschaftskritischen Bezügen in den Werken von Spitzenregisseuren des Genres wie Cronenberg, Carpenter, Hooper, Craven und Romero nach, die ihre Filme selbst sehr ausführlich und präzise kommentieren. „Shivers“ 15. 1.; „The American Nightmare“ (OmU) 12. 1., 15. 1. im Filmkunsthaus Babylon 1
LARS PENNING
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