off-kino: Filme aus dem Archiv – Frisch gesichtet
Allzu häufig bekommt man „Extase“ (1933) heute nicht mehr zu Gesicht. Dabei gehört der Film des tschechischen Regisseurs Gustav Machaty zu den berühmtesten Werken der Kinogeschichte – nicht zuletzt, weil es erstmals in einem „herkömmlichen“ Film eine nackte Frau zu bewundern gab: die schöne Wienerin Hedwig Kiesler, die später in Amerika unter dem Namen Hedy Lamarr Weltkarriere machen sollte. In Hollywood wusste man zwar den Skandal, den „Extase“ verursachte, für Werbezwecke zu nutzen, doch den Film selbst mochte man dem Publikum zunächst nicht zumuten. Angeblich wurde die einzige in Amerika vorhandene Kopie zunächst konfisziert und verbrannt; später schnitt man neue Kopien derart um, dass die „anstößigen“ Szenen den amerikanischen Zensurbestimmungen entsprachen, die keine Nacktheit erlaubten.
Aus heutiger Sicht lässt sich die Aufregung um Hedwigs Blöße kaum noch nachvollziehen: „Extase“ erweist sich als ein mit heftiger Natursymbolik befrachtetes romantisches Melodrama, in dem die Nacktheit der Protagonistin dramaturgisch durchaus motiviert ist und zudem – dank langer Brennweiten und schillernder Licht- und Wasserreflexe – überaus dezent erscheint. Sehr modern wirkt noch heute die Emanzipationsstory der jungen Frau, die sich einen Liebhaber nimmt, als sie von ihrem Ehemann (der lieber die Fransen des Teppichs kämmt, als sich um Hedy zu kümmern, der Depp) vernachlässigt wird.
„Extase“ (Engl.F) 21.3. im Arsenal 2
***Im Werk Alfred Hitchcocks nimmt der 1934 in England entstandene „The Man Who Knew Too Much“ eine einzigartige Stellung ein: Handelt es sich doch um den einzigen Film, von dem der Regisseur ein erheblich bekannteres amerikanisches Remake (mit James Stewart und Doris Day) drehte. Die Geschichte ist praktisch die gleiche: Eine Gruppe von Attentätern kidnappt das Kind eines Ehepaars, das zufällig erfahren hat, dass ein Staatsmann während eines Konzerts in der Royal Albert Hall ermordet werden soll. Und doch unterscheiden sich die im Abstand von etwa zwanzig Jahren gefertigten Versionen wesentlich: Der britische Film ist temporeicher, zupackender und erheblich witziger – unter anderem, weil der forsche Vater des Kindes (Leslie Banks) und der Anführer der Agenten (Peter Lorre mit weißer Haarsträhne und einer Narbe auf der Stirn) sich ein spannendes, von formvollendeter Höflichkeit geprägtes Duell liefern. Mit „The Man Who Knew Too Much“ fand Hitchcock jenes Motiv, das er von nun an immer wieder erfolgreich variieren sollte: Die Story vom Durchschnittsbürger, der sich plötzlich in einer bizarren Situation wiederfindet.
„The Man Who Knew Too Much“ (OF)26.3. im Arsenal 2
***Ein kleines, großes Missverständnis: Nach dem überraschenden kommerziellen Erfolg von „Blow Up“ glaubte man bei MGM, dem italienischen Meisterregisseur Michelangelo Antonioni carte blanche geben zu können. Antonioni nahm gerne an: Er bereitete sich jahrelang vor, überzog das Budget um das Doppelte und ruinierte die in finanziellen Schwierigkeiten befindliche MGM mit „Zabriskie Point“ (1970) endgültig. Wie so oft erzählt der Regisseur auch in „Zabriskie Point“ von Charakteren, die nach Ausbruchsmöglichkeiten aus der feindlichen Welt suchen: Revolution, Drogen, Meditation und freie Liebe stehen als Optionen der späten 60er-Jahre zur Verfügung.
Mit „Zabriskie Point“ blickt ein interessierter aber befremdeter Europäer auf ein Amerika zwischen Vietnamkrieg und Polizistenwillkür, das den Ausverkauf seiner Mythen betreibt und längst der schönen Scheinwelt von Leuchtreklamen und Werbefilmen erlegen ist. Am Ende dieses desillusionierenden Psychedelic-Trips steht die Zerstörung der Zivilisation – jedenfalls in der Fantasie einer Protagonistin: Mit mehreren Kameras in extremer Zeitlupe gefilmt, explodieren zu Pink-Floyd-Klängen die Insignien urbaner Kultur: Haus und Kühlschrank.
„Zabriskie Point“ 21.3.-27.3. im Checkpoint am Spittelmarkt
LARS PENNING
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