österreich, titel etc. : Aber bittschön, Herr Magister
Sie ist eine oft belächelte nationalkulturelle Eigenheit: die österreichische Titelsucht. Die Literatur der österreichischen Moderne wäre nicht denkbar ohne die Heerscharen von Kommerzial- und Hofräten, von Professoren und Doktoren. Bis heute hat sich auch im realen Leben eine Scheu erhalten, Menschen, die eine gewisse Reputation besitzen, mit ihrem nackten Namen anzusprechen, und so werden sie – wie bisweilen auch der Autor dieser Zeilen – kurzerhand zum „Herrn Doktor“ erklärt, um der peinlichen namentlichen Anrede zu entgehen. Wäre Shakespeare ein Österreicher gewesen, scherzt der Volksmund, hätte er seinen Kaufmann von Venedig nie schreiben können: Er hätte ihn „Kommerzialrat von Venedig“ oder zumindest „Diplomkaufmann von Venedig“ nennen müssen – und wie hätte das geklungen?
Aber nun könnte es mit der lieben Marotte ein Ende haben. Kürzlich beschloss der Nationalrat in Wien ein Gesetz, welches es österreichischen Universitäten und Hochschulen gestattet, anstelle der alten, eingeführten akademischen Grade Magister und Doktor die international üblichen Titel Bachelor, Master (MA) oder PhD (Doctor of Philosophie) zu verleihen. Es wird angesichts des Nutzens der Globalverständlichkeit in der Scientific Community allgemein damit gerechnet, dass ein Großteil der Universitäten diese Möglichkeit wahrnimmt.
Die Magister, Doktoren, Professoren werden also bald aussterben. Schon die Direktoren, einst das Rückgrat der guten Gesellschaft, sind selten geworden, heißen Bankdirektoren heute doch „Vorstandsmitglied“ oder bestenfalls „Vorstandsvorsitzender“, Firmendirektoren sind zu schicken CEOs mutiert. Und jetzt das! Die Vorstellung, künftige Doktoren mit „Tag, Herr Master“ ansprechen zu müssen, geht als regelrechte Schockwelle durchs Land. Doch des Grauens nicht genug, wird es künftig auch möglich sein, nach dem akademischen Grad die Universität anzuführen, an der dieser erworben wurde. Angesichts der fast zeitgleich vorgetragenen Idee der Bildungsministerin, in der einstmals legendären geschlossenen Psychiatrie von Gugging (der Name ist in Österreich ein Synonym für Irrenhaus) eine Eliteuniversität zu errichten, treibt es Scherzbolden schon Lachtränen ins Gesicht: Statt als ehrenwerter Doktor darf man künftig als „Master of Gugging“ durchs Leben gehen.
Angesichts dieser Aussicht ist es wahrhaftig nur mehr eine Petitesse, dass der solcherart Graduierte leicht mit einer anderen in Wien höchst respektierten Autoritätsperson verwechselt werden kann: mit dem Hausmeister (wienerisch: „Hausmasta“).
ROBERT MISIK