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Archiv-Artikel

normalzeit HELMUT HÖGE über Landflucht

„Ab durch die Hecke!“ (Datschenbesitzer W. K.)

Spät, aber nicht zu spät, das heißt noch im bückfähigen Alter, entdeckt die Linke das Land. Das kann ein Schrebergarten in Treptow, eine Scheune in Nauen, ein Vorwerk in der Prignitz oder ein Gutshof in Polen sein – so heruntergekommen, dass ständig neue Mitbewohner – als Renovierer – verbraucht werden. Allein aus der Oranienstraße zogen zwölf Übriggebliebene aus Hausbesetzerkollektiven in ein „Datschen“-Dorf im Oderbruch – und das BKA gleich mit.

Die Ex-taz-Redakteurin Imma Harms bloggt regelmäßig aus ihrem Teilschloss im Speckgürtel. Der RBB kreierte eine regelmäßige Gartensendung nach BBC-Vorbild. An der Humboldt-Uni beschäftigt sich ein ganzer (feministischer) Lehrstuhl mit Stadtgärten. Allein in Kreuzberg gibt es bereits ein halbes Dutzend dichtende Imkerinnen. Der taz-Autor Wladimir Kaminer schrieb einen Roman über seine gärtnerischen Erfahrung in der Kleingartenkolonie „Bornholmer Hütte“, der gerade von der Süddeutschen Zeitung als quasi-wegweisend bezeichnet wurde.

Die Redakteurin der Berliner Zeitung, Sabine Vogel, begnügt sich bisher noch mit kleinen Feuilletons über ihr Laubengrundstück hinter Pankow – das sie aber auch erst vor Kurzem anmietete. Schon jetzt lässt sich jedoch ihre Haltung gegenüber den leichten märkischen Böden und allem, was darauf wachsen könnte, als eine charakterisieren, die der vom Ehepaar Kaminer, das darauf nur grillen und ruhen will, genau entgegengesetzt ist. Wie überhaupt ein Gutteil des Kaminer-Buchs darin besteht, sich vor Ort über das streng-deutsche Engagement bei der Bearbeitung von Kleinflächen im Rahmen von noch aus der Bismarckzeit stammenden Gesetzen und Statuten für Arbeitergartenvereine russisch zu wundern.

Dahinter steckt aber eine ganze „Reform“-Bewegung mit dem Wissen: Der Kleingarten ist die effektivste, die großflächige Monokultur die profitabelste Form der Landbewirtschaftung. Ihre proletarische Avantgarde besteht heute aus all jenen Arbeitslosen, die massenhaft zum Spargelstechen oder Erdbeerpflücken aufs Land verschickt werden. Weil sie sich noch mit allerlei Ausreden gegenüber ihren Arbeitgebern vor dieser Sklavenarbeit (1.000 Salatköpfe in einer Stunde, einen Karton Paprika in zehn Sekunden …) drücken, will man ihnen staatlicherseits nun die Daumenschrauben anlegen.

Die Bauern würden allerdings lieber weiter arbeitswillige Polen für einen Hungerlohn anstellen als diese nörgelnden, zudem privilegierten deutschen Arbeitsunwilligen, die sich wie aus ihrem gemütlichen Neubauviertel heraus- und in regelrechte Arbeitslager hineingezwungen fühlen. Immerhin standen ihre Väter kurz zuvor noch auf der anderen, sicheren Seite des Zauns rund um die Moorlager, wie man die Hartz-IV-Agrocamps damals noch nannte, um ihnen den Schrecken zu geben – und nicht, wie heute, zu nehmen.

Zudem steht diesmal die Gewerkschaft (IG BAU – Bauen Agrar Umwelt) auf der Seite des Staates: Indem sie es etwa in ihrem Kampfblatt Der Säemann begrüßt, dass zum einen die Polen wegbleiben – wegen der zu hohen Sozialabgaben, und dass zum anderen die deutschen Arbeitsämter, die sich nunmehr Agenturen nennen oder sogar „Jobcenter“, ihre „Klientel“ mittels Fitnesstraining, Botanikkursen und Vorortkontrollen in die Feldfurchen und Fruchtfolgen der Großagrarfirmen reindrücken – und zwar nachhaltig!

Die Gewerkschaft der Landarbeiter erhofft sich davon einen dauerhaften Mitgliederzuwachs. Sie verspricht, sich für höhere Löhne sowie gesündere Verpflegung einzusetzen. Für die Nochnicht-Arbeitslosen bietet sich alternativ das freiwillige „Öko-Jahr“ an – etwa beim norddeutschen „Salatkönig“ Rudolf Behr, der alleine „6.000 Erntehelfer“ pro Saison beschäftigt.

Amerikanischer ist da nur noch das „Mitmachen“ an der alljährlichen Marlboro-Jobvermittlung „Be a Ranchhand“: Ranchhand – so hieß zuvor ironischerweise auch die gigantische Entlaubungsaktion der US Air Force, bei der 72 Millionen Liter Agent Orange (ein hochgiftiger Herbizid-Mix) über den vietnamesischen Dschungel versprüht wurden. Damit und damals begann aber auch das Umdenken – bis hin zu den Grünen und der Schrebergartenkonjunktur.