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Archiv-Artikel

normalzeit HELMUT HÖGE über den kritischen Konsum

„Die Menschen entdecken sich in ihren Waren wieder“ (Herbert Marcuse)

Etwa die Hälfte der im „ArchivKooperativerProjekte“ aufgeführten Gruppen aus Berlin und seinem Umland sind konsumistische Initiativen – wie etwa Food-Coops. In einem Suhrkamp-Reader über „Politik, Protest und Propaganda“ war bereits 2007 von „politischem Konsum“ die Rede: „Wie andere Formen kreativen politischen Handelns kann der politische Konsum nicht nur relativ schnell Erfolge verzeichnen, sondern er verlangt den Teilnehmern auch keine besondere Opferbereitschaft ab.“ Der Reader über eine „Politik ohne Reue“ heißt deswegen auch nicht mehr „Was tun?“, sondern „Und jetzt?“. Es geht dabei um organisierten Konsumentenboykott.

In den USA wurden die Gewerkschaften und Bürgerrechtsbewegungen schon früh durch Mord und Bestechung zerschlagen. Seitdem findet das atomisierte angepasste Individuum mit dem „egoistischen Gen“ als bewusster Verbraucher auf dem globalen Markt nur noch rein statistisch zur Kollektivität zurück. Es boykottiert zum Beispiel Coca-Cola und kauft stattdessen massenhaft Pepsi-Cola. Ab einer bestimmten Kaufkraft zeitigt dies Wirkung.

Selbst eine neue Gewerkschaft von mexikanischen Erntehelfern in Florida wandte sich, um ihre Forderung „1 Cent mehr für jeden Eimer Tomaten“ durchzusetzen, nicht mehr an die ausbeuterischen Agrarunternehmen, sondern an kritische Konsumenten, konkret: an die Kunden der Fastfoodkette Taco Bell. Und deren Boykott hatte schließlich Erfolg. Dieses Beispiel könnte aus Naomi Kleins Bestseller „No Logo“ stammen. Der Soziologe Ulrich Beck spricht von einer neuen, sich medial inszenierenden Konsumentenmacht: „Warum der einzelne Konsument ein bestimmtes Produkt nicht kauft, ist nicht so wichtig. Was zählt, sind gerade massenhafte Mit-Nichtkäufer.“

Der politische Konsument geht aber noch weiter: So gibt es in den USA etwa einen „Buy Nothing Day“, ferner bittere Erfahrungsberichte über ein Jahr „No Shopping“ und abtrünnige Lifestylisten, die Bücher darüber schreiben, „Wie ich lernte, ohne Marken zu leben“. In Deutschland erschien vor Kurzem ein konsumkritischer Erfahrungsbericht des stellvertretenden Chefredakteurs der taz: „Öko – Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“. Denn es ist doch so, „dass man sich oft nicht viel Mühe gibt beim Konsum“, erklärte dazu der Autor Peter Unfried im Interview.

Ein im Herbst erscheinendes Buch von taz-Autor Holm Friebe und Thomas Ramge über den „Aufstand der Massen gegen die Massenproduktion“ geht noch weiter: Es heißt „Marke Eigenbau“ und thematisiert, ausgehend vom politischen Konsum, den neuen US-Trend des „Selbermachens“ und „-verkaufens“ über das Internet.

Die Westberliner taz ist eine Konsumentengenossenschaft (ihrer Leser) und zugleich, darin quasi eingewickelt, eine Produktivgenossenschaft (ihrer Mitarbeiter). Im Gegensatz zur sozialistisch-proletarischen Mediengenossenschaft in Ostberlin, Junge Welt, verfolgt die taz denn auch eher eine ökologisch-konsumistische Politik. So wird zum Beispiel keines ihrer hundert Produkte, die sie im „taz-shop“ verkauft und an Abonnenten verschenkt, von einer Genossenschaft hergestellt. Nicht die Produktion, sondern die Produkte werden dabei – nach ökologischen Kriterien – bewertet. Die 68er-Bewegung setzte dem kleinbürgerlichen Lebensinhalt „Fressen, Ficken, Fernsehen“ noch „Sex & Drugs & Rock ’n’ Roll“ entgegen, die taz kehrte spätestens nach 1989 wieder zu den alten „Werten“ zurück, veredelte sie jedoch zu „Biofood, feste Beziehungen und Kinder sowie Arte- bzw. Arthouse-Filme“.

Und diese Formel für den gehobenen Konsum verband sie mit politischer US-Korrektheit: Dabei ist von „Gender“, „Genozid“ und „Human Rights“ die Rede; an die Substantive wird gern die weibliche Endung „Innen“ gehängt, Minderheiten dürfen nicht mit vermeintlich herabwürdigenden Worten bezeichnet werden (so heißt es statt „Zigeuner“ „Roma“), und Rauchen ist in allen Räumen verboten. Da der politische Konsumismus jedoch allein von Leuten abhängt, die auch das Geld dafür haben, diese aber absolut immer weniger werden, muss die taz – ähnlich wie die Grünen – in ihrer Auslandsberichterstattung eher dem kriegerischen US-Imperialismus folgen als den auf Gerechtigkeit statt Freiheit setzenden kleinen Diktaturen in Osteuropa und Lateinamerika.