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normalzeitHELMUT HÖGE über Auslandsaufenthalte

Pop at work

Neulich meinte in der taz-Kantine Sale e Tabacchi eine Frau zu ihrer alten Mutter – halbbitter: „Das Leben ist – schön!“ Keine Widerrede. Aber was ist das Leben ohne Auslandsaufenthalte?

In den Siebzigerjahren nervten die jungen Künstler bereits mit langen Lebensläufen, in denen jeder Urlaub als Auslandsaufenthalt verbucht war. Und bereits in den Sechzigerjahren fiel ich unangenehm auf, als ich in der Schule nach den Sommerferien behauptete, in Rimini gewesen zu sein, obwohl wir nur am Bodensee gewesen waren – und dann das Adriaerlebnis nicht adäquat „kommunizieren“ konnte.

Die Auslandserfahrungen sind immer wichtiger geworden. Selbst die Bundesbahn verkauft keine Fahrkarten, sondern „Tickets and More“, wobei das Mehr für wertvolle Auslandserfahrungen steht. Die Globalisierung und Fusionierung macht nicht vor den Individuen halt. So hat sich mittlerweile herumgesprochen, dass ABM-gestützte Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen nur noch in Verbindung mit einem Auslandsaufenthalt etwas taugen. In Berlin verhandelt man zum Beispiel mit New Yorker Firmen und in Angermünde mit irischen.

Mehr und mehr sind dabei die richtigen Orte entscheidend – seien es Elite-Unis oder echte Hotspots. Auch die Reporter holen sich ihre Meriten vornehmlich an der Front. Bei der taz gab es am Anfang nur zwei Auslandsredaktionen: in den Bürgerkriegszentren Beirut und Managua; sie waren – zu Hoch-Zeiten – mit teilweise bis zu zehn Korrespondenten besetzt. In der Repro arbeitete Richard. Irgendwann wanderte er auf die Fidschiinseln aus – und wurde staatenlos. So dass er jetzt nach dem Putsch dort nicht von der deutschen Botschaft ausgeflogen werden konnte. Er wollte es – als einziger Europäer – aber auch gar nicht, denn inzwischen hat er dort eine Samoanerin geheiratet, und die bekommt Anfang Juli ein Kind. Geld kann er aber jetzt per E-Mail bei der taz verdienen – mit Putsch-Artikeln. Die taz hat inzwischen zu seiner Betreuung in ihrer Auslandsredaktion einen Praktikanten, der quasi Fidschi-Experte ist: Er hat mal in Australien gearbeitet.

Ähnlich wie Richard jetzt hat auch Jürgen anfänglich die taz benutzt: Der Hausbesetzer aus Bremen baute in Berlin erfolgreich ein Videogeschäft auf, das er dann verkaufte, um in Rio eine Druckerei einzurichten, die Fahnen bedruckte. Wenn das Geld mal wieder nicht reichte, schrieb er taz-Artikel aus Brasilien. Später baute er in Berlin eine Firma auf, die für US-Konzerne Investitionsgüterforschung in Asien betrieb – per Telefon und mit ausländischen Studenten. Dabei operierte sie mit der Chicagoer Marginal Man Theory: Das heißt, die Telefonierer müssen sich zwar von ihren Heimatklängen abkoppeln, dürfen sich aber noch nicht von ihnen entfremdet haben. Zuletzt war Jürgen Manager des Ost-Elektro-Konzerns in Treuhandbesitz, Elpro AG, dann kaufte er einen Stahlbetrieb in Rathenow und ist dort nun sein eigener Liquidator.

Eine ähnlich bewegte Vergangenheit hat auch der Südostasien-Filmexperte Ralph hinter sich: In den Achtzigern kämpfte er bei den philippinischen Guerillas – den Moros – mit, die jetzt gerade sechs deutsche Geiseln genommen haben, die wiederum von dem ehemaligen taz-Redakteur Malzahn spiegelmäßig betreut werden – und denen demnächst Entwicklungshilfe statt Lösegeld winkt.

Außerdem wäre da noch Christoph, der immer mal wieder Deutsch an afrikanischen Universitäten lehrt P und hier dann über Afrika-Themen schreibt. Neulich wurde er – bei Dakar – sogar von einem Löwen gebissen.

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