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normalzeitHELMUT HÖGE über Transformationsländer

Den Silberstreif am Horizont ablutschen

Auf dem traditionellen Transformationstreffen im „Talmie“ an der Schönhauser Allee, das jetzt „Perle“ heißt, kam unter anderem heraus: In Weißrussland, wo sich einst bei der Kollektivierung viele Gutsbesitzer und -verwalter als Kolchosvorsitzende in die neue Zeit hinüberretteten, haben es jetzt umgekehrt viele kommunistisch geschulte Vorsitzende zu GmbH-Geschäftsführern geschafft. Anders ist es bei den KGB-Abteilungen in den Interhotels: Dort wurden sie zunächst „freigesetzt“, wobei sie ihre „Mädchen“ mitnahmen, die vorher ausländische Gäste prostitutiv bespitzelt hatten. Nunmehr ging es primär ums Anschaffen, wobei sie 50 Prozent kassierten und gleichzeitig laufend neue Mädchen einstellten. Dabei kam es zu Rivalitäten, sodass diese Abteilungen neuerdings offiziell als Hotel-Profitcenter fungieren – mit strengen Arbeitsnormen. Die „Mafia“ war nur ein Zwischenschritt.

Anders sieht es in den traditionell kämpferischeren Aluminium-, Öl- und Tabakbranchen aus. Über den dritten Aluminiumkrieg in Sibirien berichtete gerade die Frankfurter Allgemeine Zeitung, auf der Grundlage einer Recherche von Limonow, der dafür und zusammen mit einem der unterlegenen „Aluminiumkönige“ im Gefängnis landete. Wladimir Kaminer schrieb gerade eine Besprechung über Limonows Aluminium-Buch. Beim Öl sind die Regierungs- und Konzernpolitiken meist mafios. Und beim Tabakgeschäft, besonders auf dem Balkan, lässt sich die Mafia noch immer nicht reinreden.

Hier will sich der Regisseur Zoran Solomun („Der Chinesenmarkt in Budapest“) demnächst mehr Klarheit verschaffen, wobei er davon ausgeht, dass zum Beispiel in Serbien ohne Beziehungen gar nichts geht – bis hin zu den einfachsten staatlichen Dienstleistungen, mit der Ausnahme: Kulturministerium. Demgemäß spielt der „Verrat“ hier auch immer noch eine größere Rolle als in anderen Transformationsländern.

In Estland, wo man den Investoren alle Türen und Tore öffnete, wird man dessen ungeachtet demnächst ein eigenes Okkupationsmuseum errichten. Der Leiter ist ein estnischer Dissident, den man damit quasi für Gefängnis und Emigration entschädigte. Zuvor war bereits ein anderer – dissidentischer – Filmer Präsident Estlands geworden, von dem jetzt nur noch zu erfahren war, dass er sich einen Hund zugelegt hat, der „Mathias Rust“ heißt. Anfang August präsentiert das Okkupationsmuseum seine Konzepte in der Berliner Gauckbehörde.

Bearbeitet wurde dabei die Zeit von 1939 bis zur Unabhängigkeit, die dank des damaligen sowjetischen Generals in Tallin, Dudajew, unblutig verlief, er selbst wurde jedoch später als tschetschenischer Freiheitskämpfer von der Russischen Armee erschossen. Die Esten haben ihm ein Denkmal gesetzt. Das Okkupationsmuseum beschäftigt sich mit der deutschen und der sowjetischen Besatzungszeit.

Letztere hat jetzt in vielen ehemaligen Sowjetrepubliken und Emigrationsorten utopische Überbleibsel hinterlassen. Sie werden dort ebenso wie im neuen Russland – mit ihren komischen Pässen zumal – als „Ausländer“ betrachtet – und ggf. extra zur Kasse gebeten. Der restaurative Knackpunkt heißt in dieser Gegend „Kaliningrad“ – für das sich keine Lösung findet, außer Zwischenkriegskorridore à la Danzig. Ein Düsseldorfer Kneipenwirt wird dort als „König“ bezeichnet. Ob respektvoll oder ironisch, blieb unklar.

Tatsache ist, dass viele der frommen Balten, wenn sie aus dem Westen kommen, wieder eine gewisse Überheblichkeit dort an den Tag legen. Erklärt wird das von ihnen selbst damit, dass sie durch ihre Amerikanisierung nun einen „gewissen Vorsprung“ hätten. In der Restauration „Walden“ feierte der DDR-Transformationsforscher Engler seinen soundsovielsten Geburtstag – wie immer rauschend. Und was das Autofabrikland Polen betrifft, so wurde dazu pauschal auf Stefanie Peter von der FAZ verwiesen sowie auf Kornel Miglus vom polnischen Kulturinstitut, der jedoch gerade ganz Sewastopol bedrängt – mit einem kleinen, handverlesenen Kamerateam.

Umgekehrt erklärte in einer kürzlich erschienenen Doktorarbeit über die Zerstörung patriachalischer Familienlandwirtschaften in Weißrussland 1921–1941 die Historikerin Diana Siebert ihr Nichtbefragen von Zeitzeugen so: Wenn man sich selbst bei der Erforschung von Menschen, die schon lange tot sind, vorsehen sollte, dass man ihnen nicht zu nahe tritt, „so sollte dies genauso für lebende Menschen gelten“.

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