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normalzeitHELMUT HÖGE über Karriere-Kids

Wunscherfüllung und Workshop

Die Amerikanisierung aller Lebensäußerungen äußert sich auch und vor allem in der Kindererziehung: Nicht nur dürfen die mittelschichtigen Stadtkinder kaum noch alleine nach draußen, sie werden nach Kita und Vorschule auch noch von einem Kurs in den anderen geschleppt: zum Musik-, Sport- und Malunterricht etc. In der Kochstraße gibt es jetzt sogar einen „Indoor-Spielplatz“. Und da die Preise für „Nannies“ immer weiter sinken, werden sie abends oft noch mit osteuropäischem Liedgut ins Bett gebracht.

In der Kinder- und Schülerladenbewegung Ende der Achtziger-, Anfang der Siebzigerjahre ging es andersherum: Um die junge Brut nicht allzu mittelschichtsmäßig verdumpfen zu lassen, wurde sie regelmäßig ins Arbeitermilieu ausgeführt, das heißt, es standen Betriebsbesichtigungen – bis hin zur Feuerwehrwache – auf dem Programm. Damit sollte den Kindern nicht nur die Scheu und Distanz zum Proletariat genommen werden, man wollte ihnen auch frühzeitig einen „organischen Kontakt“ (Gramsci) zur Arbeiterbewegung ermöglichen. In der DDR gab es dafür ein ganzes System von „Patenschaften“ – zwischen Betrieben und schulischen Einrichtungen beispielsweise. Diese Idee wurde dann von linken Redakteurinnen bei Radio Bremen in ihren „Sendungen mit der Maus“ aufgegriffen – dahingehend, dass sie immer wieder filmisch der Frage nachgingen, wie ein Produkt hergestellt wird.

Mit den oben erwähnten kulturellen Kinder-Workshops hat sich diese Perspektive nach unten komplett umgedreht – der Ehrgeiz der Eltern geht jetzt nicht mehr dahin, dass ihre Sprösslinge nach und nach die materiellen Grundlagen der Gesellschaft verstehen, sondern im Gegenteil sich Kulturtechniken aneignen, mit denen sie frühzeitig – aber ebenso ehrgeizig – bloß noch nach oben streben, und es so ihren Erzeugern gleichtun. Das ist Ausdruck einer allgemeinen Verschweinung und Asozialisierung, die sich bitter rächen wird. Auch wenn diese „Kids“, wie man sie heute zu Recht nennt, vom Tango- bis zum Posaunenunterricht alles gefressen haben, ihr permanentes Workshopping bedeutet keine bürgerliche Kultivierung mehr, sondern bläht ihre kleinen Egos nur bis Oberkante Unterlippe auf. Denn diese ganzen Mittelschichtkinder sind so überflüssig wie ein Kropf: Weder sollen sie einmal ein reiches, väterlicherseits begonnenes Werk fortsetzen, noch müssen sie ihre armen Eltern später ernähren oder trösten.

Damit sie wenigstens ein bisschen Respekt gegenüber ihren Mitmenschen mitkriegen, haben einige Eltern angefangen, ihren Kindern statt dieser albernen Schischi-Scheiße auf Kursusbasis wenigstens eine Grundausbildung zur eigenen Lebensführung zu verpassen, indem sie sie stundenweise an Putzfrauen ausleihen, gegebenenfalls auch an Köchinnen, Büglerinnen, Gärtnerinnen etc. Das heißt, die Eltern zahlen diesen mehr oder weniger mobilen Handarbeiterinnen einen Stundenlohn, damit die Kinder ihnen bei der Arbeit zusehen dürfen und irgendwann mithelfen können. Eine Luxusvariante dazu ist die Stadtführung von Ekaterina Beliaeva, die durch zehn kleine Produktionsbetriebe und Gewerbeläden in Mitte geht, wobei auch eine Bonbonfabrik besichtigt wird (www.abenteueragentur.de). Manche Lehrer raffen sich zum Zeitungsbesuch mit ihrer Klasse auf, u. a. bei der taz, aber das lappt schon wieder ins Karrieristische, Glamourös-Mediengeschäftliche. Nach einer solchen Exkursion schrieb neulich eine Gruppe in ihrer Schülerzeitung, dass das Schönste die vollautomatischen neuen öffentlichen Toiletten anschließend draußen waren, in die sie sich, weil es regnete, zu mehreren einschlossen, um zu rauchen und zu quatschen.

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