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niedergeklatschtApplaus, Applaus, Applaus: Beim Straßentheater gibt es kein Pardon

Drei Tage fühlte sich Bremen wie Marseille an oder Barcelona oder was weiß ich, wo im Sommer Clowns und Akroba­t:in­nen auf der Straße ihr Publikum verzaubern, gegen Bargeld, das im Hut oder im Koffer landet und manchmal nur gegen ein Lächeln, weil die Taschen der Zuschauenden genau so leer sind wie die der Künstler:innen.

La Strada heißt das internationale Festival der Straßenkünste, das seit 1994 jährlich in Bremen stattfindet, an unterschiedlichen Spielorten. Als es 2020 wegen der Pandemie ausfallen musste, war ich tieftraurig. Ich mag zwar weder Lärm noch Gedränge, aber ich liebe La Strada. Viele Darbietungen, die ich dort gesehen habe, haben mich mehr berührt als Filme, Theaterstücke und Konzerte, vielleicht, ganz sicher wegen des unmittelbaren Kontakts zum Publikum, das oft Teil des Spiels wird.

Aber das Publikum ist auch das, was mich regelmäßig aus der Verzückung reißt. Gar nicht so sehr, weil ihre an Straßenkunst desinteressierten Hunde oder Kleinkinder vor mir auf und ab springen oder weil sie lautstark die vermuteten Neurosen eines Kollegen besprechen – ein Steh- oder Sitzplatz im Freien lässt sich schließlich wechseln. Sondern weil sie: klatschen. Nicht nur am Ende oder am Beginn zur Ermutigung, sondern ständig, mittendrin. Bei jeder Bewegung, die sie für besonders kunstvoll halten, egal, ob die Nummer darauf angelegt ist, sich von einem Höhepunkt zum nächsten zu hangeln oder ob sie wie ein Gedicht funktioniert, ein poetischer Tanz.

Niemals würden sich Zu­schaue­r:in­nen dazu hinreißen lassen, während eines Stücks im Theatersaal zu applaudieren wie im Zirkus, wo sie mit einem Trommelwirbel unter Anspannung gehalten und dann auf den Moment der Erlösung hingeleitet werden. Und wenn sie es doch täten, würden sie zig strafende Blicke strafen.

Doch hier, an diesem Samstagmittag auf den Stufen der Bremischen Bürgerschaft scheine ich die Ausnahme zu sein. Schon am Vorabend hatte ich fantasiert, wie ich Hände fesseln würde, damit ich ohne Unterbrechung den Tanz genießen kann, den eine junge Frau in einem Metallreif zeigt, begleitet von sphärischer Musik. Ja, es ist beeindruckend, wie sich Sandra Hanschitz in dem 14 Kilo schweren Cyr Wheel schwebend und kraftvoll zugleich bewegt, aber sie macht doch keine Faxen wie ein dressierter Pudel, der auf sein Leckerli wartet, nachdem er eine Pfote gehoben hat!

Und jetzt, tags darauf, tanzt wieder eine junge Frau, Teil des französischen Künstlerkollektivs „La Méandre“, auf dem Marktplatz. Zu Beginn trägt sie ein schwarzes Kapuzenshirt zu Jogginghose und Turnschuhen, ihr Tanz ist verzweifelt, die Musik bedrohlich. Für mich steht sie für die jungen Männer, die aus Nordafrika über das Mittelmeer geflohen sind, Straßenkinder, ohne Hoffnung auf ein besseres Leben. Mir kommen die Tränen, als sie sich zwischen den Zu­schaue­r:in­nen bewegt, sie berührt, wortlos um Hilfe anfleht, um dann weiterzutaumeln. Meine Sitznachbarin und andere im Publikum lachen. Sie müssen ein anderes Stück sehen als ich, eins, in dem ein Clown mit der Verunsicherung der Zu­schaue­r:in­nen spielt, sie vorführt, weil sie nicht wissen, wie sie auf seine Annäherung reagieren sollen. Natürlich gibt es Zwischenbeifall, einmal, als sie zu Boden gesunken ist, regungslos dort liegen bleibt. Stille = The End.

Das Publikum klatscht nicht nur am Ende oder am Beginn zur Ermutigung, sondern ständig, mittendrin

Später kommen mir wieder die Tränen. Die Tänzerin hat die Kapuze abgestreift, den Zopf gelöst und tanzt zu jetzt lustvollen Beats, mit ihr ein Dutzend Frauen jeden Alters sowie ein Mann, die sich zu ihr gesellen. Ein Fest der Freude. Meine Sitz­nach­ba­r:in­nen links und rechts sind längst gegangen. Hinter mir sagt eine Frau zu ihrem Begleiter: „Aber sie ist wirklich sehr beweglich.“

Sie habe die Entwicklung vom unsicheren jungen Mädchen zur selbstbewussten Frau darstellen wollen, erzählt mir die Tänzerin hinterher – das hatte ich so gar nicht gesehen. Wahrscheinlich macht genau das gutes Straßentheater aus: Für alle was dabei. Eiken Bruhn

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