neues vom fleischmarkt von WIGLAF DROSTE:
Auch beim organisierten Irrsinn muss man auf Ballhöhe bleiben. Unter dem Titel „Ich heirate einen Millionär“ veranstaltete RTL eine Frauenkaufparty: Ein halbreicher Mann darf sich aus 45 freiwilligen Bewerberinnen eine Frau aussuchen und muss dafür mit Heiratswilligkeit drohen. Das klingt so unverlockend, dass man’s gesehen haben muss, einmal. Alsdann.
Für die Moderation hatte RTL seine Altlast Werner Schulze-Erdel exhumiert, einen routinierten Unmenschen mit dem Charme einer Boxbude. Dieser Conférencier des Banalen sprach von einem „modernen Märchen“, wedelte mit einem Brillantring herum und raunte gewichtig über dessen „Wert von mehr als 20.000 Mark“. Das Ding war potthässlich. Schulze-Erdel, besinnungslos von Beginn an, säuselte unablässig von „unserem so geheimnisvollen Millionär“. Es hatte etwas von Tombola mit Leberwurst als Hauptgewinn.
Bis der aber ausgegeben wurde, musste Zeit zerdehnt werden. Hierbei halfen Schulze-Erdel einige Werbeblöcke und die Töchter des Millionenversprechens aus erster Ehe, die alle drei aussahen wie Heidi Kabel in jünger. Ein Mann, der als „bester Freund des Millionärs“ aufgeboten wurde, vervollständigte das von Schulze-Erdel beharrlich als „so genannte Fachjury“ angesprochene Quartett. Dieses Gremium wusste, was ein Mann braucht: „die richtige Frau in seinem Leben, einen ausgleichenden Pol, damit er Ruhe findet“. Selten wurde die Kongruenz von Frau und Friedhof so treffend formuliert.
Etwas Fleischbeschau gab es auch. „45 Frauen, ein wunderschönes Bild, ein toller Auftritt, sie alle sind unterschiedlich, ihre Träume, ihre Neigungen, ihre Hobbies“, faselte Schulze-Erdel wie entrückt und leitete das Defilee der Traurigkeiten ein. Das von Max Goldt erfundene Wort „Alt-Girl-Container“ fiel mir ein, als allerlei Damen nacheinander vor ein Mikrofon traten und ihr Alter, ihren Beruf und die Anzahl der bereits vorhandenen Kinder aufsagten. Man lernte das Wort „Zahnarztbereich“ und erfuhr, dass es Menschen gibt, deren „Ziel es ist, Bilanzbuchhalterin zu werden“. Der Nachwuchs wurde so offensichtlich als Chancenbremse empfunden, dass er im Gegenzug trotzig als „toll“ und „großartig“ ausgepreist wurde. Das animierte Saalpublikum johlte, und Schulze-Erdel, den man als Schmierseife hätte abfüllen können, fragte seine Jury: „Ist denn schon so was dabei?“ Eine der drei Heidi Kabels gab ungerührt zurück: „Die eine oder andere ist dabei.“
Zur Anschauung gab es Filme, in denen sich die Kandidatinnen im Badeanzug zeigten, auf der Massagebank, in der Sauna – die Ware wurde näher fixiert. Primäre und sekundäre Geschlechtsmerkmale wurden nicht fokussiert – schließlich ging es, wie Schulze-Erdel genialisch trompetete, um „Charakter, Liebe, Partnerschaft“.
Sigmunds Freuds Diagnose, dass Verlust von Scham Schwachsinn befördert, im individuellen wie im kollektiven Leben, kann immer wieder neu bewiesen werden. Weil diese Beweise des immer Gleichen erstaunlicherweise lukrativ sind, gibt es jetzt auch „Ich heirate einen Millionär“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen