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Archiv-Artikel

nebensachen aus wien Eine militärische Potenzschau als Krönung des Gedenkjahres

Mit der größten Militärparade der österreichischen Zweiten Republik wurde am 26. Oktober das Gedenkjahr 2005 in eigentümlicher Weise gekrönt. Nach dem 60. Jahrestag des Kriegsendes folgten 50 Jahre Staatsvertrag, zehn Jahre EU-Beitritt und jetzt 50 Jahre Neutralität, 50 Jahre Bundesheer und 50 Jahre UNO-Mitgliedschaft. Martialische Aufmärsche gehören nicht zu den Ritualen in einem Land, dessen Soldaten bisher nur in Friedensmissionen und nicht als Eingreiftruppen die Grenzen überschritten haben. Truppenparaden hatte es in der Geschichte des Bundesheeres nur sieben gegeben.

Aber diesmal wurde alles aufgefahren, was die Armee zu bieten hat: von Luftabwehrgeschützen über Panzertruppen bis zu Kampftauchern, Gebirgsjägern und Kavallerie. Auch die volkswirtschaftlich nützlichsten Einheiten, die Katastrophenhelfer, durften über die Ringstraße an der fast komplett angetretenen Bundesregierung vorbeidefilieren. Mehr als 4.000 Soldaten, 600 Fahrzeuge, 111 Hunde und Pferde sowie 97 Flugzeuge bot man auf, um zu beweisen, dass das Rüstungsbudget gut investiert wurde. Auch die Eurofighter, deren Kosten den Haushalt viele Jahre belasten werden, donnerten über die Innenstadt – allerdings nur Leihgaben, denn die vom Bundesheer bestellten werden frühestens ab 2007 geliefert.

Angesichts der militärischen Potenzschau konnte man leicht den Anlass des Nationalfeiertages vergessen, nämlich die Verabschiedung des Neutralitätsgesetzes vor 50 Jahren, die Österreich den Staatsvertrag mit den Alliierten und den Abzug der Besatzungstruppen gebracht hatte. Eine Festsitzung des Parlaments gab es zum Ärger der Opposition nicht. Immerhin blieb Österreich dank „immerwährender Neutralität“ die Teilung erspart.

Die einzige dem Anlass gewidmete Veranstaltung fand auf Initiative des privaten Vereins für historische Forschung im Wiener Volkstheater statt. SchauspielerInnen und LiteratInnen trugen Texte zu Krieg und Frieden vor. Der Zeithistoriker Gerhard Jagschitz hatte Gelegenheit, über den offiziellen Umgang mit dem Gedenkjahr 2005 zu klagen: Das Nachdenken über Geschichte sei nicht für die Inszenierung geeignet, oft würden nur „Happenings“ angeboten. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, der das Wort vom „Gedankenjahr“ geprägt hatte, was wohl ein kollektives Nachdenken suggeriert, beließ es bei der Phrase. Für den ehemaligen Befürworter eines Nato-Beitritts ist das Bekenntnis zur Neutralität ein politischer Schachzug angesichts herannahender Wahlen. Offenbar soll dem Volk signalisiert werden: Egal ob Nato oder Neutralität, aufgerüstet muss werden. RALF LEONHARD