nebensachen aus wien: Tücken des kommunalen Gratisfahrrads
Sheriffs zur Rettung einer alten Idee der Grünen
Es war eine so nette Idee der Wiener Stadtregierung. Sie griff eine alte Idee der Grünen auf und begann im Mai an zentralen Stellen in Wien Fahrräder aufzustellen – rosa oder blau, je nach der Farbe der Sponsoren. Jede und jeder konnte für zwei Euro Pfand ein solches City-Bike von der Kette lösen und benutzen. Keiner fragte danach, ob man damit aus reiner Lust am Leben über den Radweg der Ringstraße rollen, seine Einkäufe erledigen oder einfach auf dem schnellsten Weg von A nach B gelangen wollte. Die einzige Auflage war, das Fahrzeug ausschließlich in den Innenbezirken zu nutzen und danach wieder an einem dafür vorgesehenen Standplatz an die Kette zu legen. Die zwei Euro wurden dort wieder ausgespuckt.
In den ersten Tagen schon setzte ein unglaublicher Run auf die praktischen Fahrgestelle ein. Tagsüber war es kaum möglich, irgendwo ein freies Gratisfahrrad zu finden. An den Standplätzen baumelten die Ketten in der Frühlingsluft. Und bald stellte sich heraus, dass dem Wiener und der Wienerin offensichtlich die nötige Reife für den Erfolg eines solchen Projektes fehlt. In den harmloseren Fällen wurden Räder außerhalb der Innenbezirke gefunden. Da waren Leute einfach zu faul, das Gefährt wieder an einen Stellplatz zurückzubringen. Aufmerksame Hausmeisterinnen meldeten bald Viennabikes, die tagelang in Innenhöfen herumstanden. Manche Menschen entwickelten kriminelle Energien: sie lackierten die auffällig gefärbten Räder einfach um und entfernten die Sponsorenwerbung von den Schutzblechen. Andere ließen an den unschuldigen Bikes ihre Zerstörungswut aus oder versenkten sie im Donaukanal – nicht ohne zuvor ihre zwei Euro Kaution aus dem Schlitz gebrochen zu haben. Und an der Grenze zur Slowakei stoppten Zollbeamte einen Wagen voller Viennabikes.
Die Betreibergesellschaft verstand die Zeichen und holte die Räder zurück. Die Erfinder des Gratisrades wollten sich aber noch nicht geschlagen geben. Seit Mitte Juli stehen Viennabikes wieder zur Verfügung. Allerdings kann sie jetzt nur benützen, wer vorher ein SMS mit seinen/ihren Daten schickt. Ein Schlag ins Gesicht für aufrechte Handy-Verweigerer, aber zweifellos eine brauchbare Form der Disziplinierung, sollte man meinen. Trotzdem verschwanden wieder täglich 200 Bikes. Selbst im 300 Kilometer entfernten Kärnten tauchte eines auf. 17 Mitarbeiter mit zwei LKWs spüren rund um die Uhr verlorene Räder auf. Die Polizei erklärt sich für unzuständig, Viennabike-Nutzer in verbotenen Revieren anzuhalten oder gar abzustrafen.
Da konnte es nicht ausbleiben, dass die Vertreter der Regierungsparteien FPÖ und ÖVP, die im Wiener Gemeinderat in der Opposition sind, das rot-grüne Projekt zum „politischen Bauchfleck“ erklärten und seine sofortige Einstellung im Interesse der Steuerzahler begehrten. Doch so schnell wollen sich die Betreiber von ihrem Kind nicht trennen. Die Belastung für jeden Steuerzahler betrage jährlich 30 Cent, erklärte Viennabike-Sprecher Michael Kuhn, und von den vom Stadtrat zugesagten 1,2 Millionen Euro sei erst ein Drittel ausgegeben worden. Erste Strafaktionen haben sich inzwischen offenbar gelohnt. Seit Viennabike einen Trupp von Sheriffs ausschickt, der jedem Biker außerhalb des erlaubten Gebiets 50 Euro abknöpft, nahm der Schwund merklich ab. Nur Touristen genießen noch Schonzeit. Sie werden mit freundlichen Ermahnungen in die Innenbezirke zurückgeschickt. Bis 15. September will man abwarten, ob die Wiener für Viennabike doch noch reif werden. RALF LEONHARD
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