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Archiv-Artikel

nebensachen aus peking Eine Körpertemperatur von 40 Grad? Kein Grund zur Besorgnis

Mit dem Geist Chinas gegen SARS

„Einen Augenblick“, fordert die Kontrolleurin am Eingang des Pekinger Chaoyang-Parks, „ich muss Fieber messen.“ Sie richtet den roten Sensorpunkt ihres Messgeräts auf die Handfläche des Parkbesuchers und winkt ihn dann durch. 27 Grad Körpertemperatur hat der Apparat angezeigt. Niemand wundert sich.

Das Schwere Akute Atemweg-Syndrom (SARS), die über die Pekinger hereingebrochene Lungenkrankheit, hat alte Gewissheiten erschüttert und neue Erkenntnisse gebracht. Zum Beispiel, dass jede Körpertemperatur zwischen 25 und 43 Grad völlig normal sein kann. Die meisten Hauptstädter sind Kaltblüter mit rund 33 Grad. Das beweisen die Wärmedetektoren, die jeder vor Behörden, Kaufhäusern und Hotels passieren muss.

Manche Geräte, wie der am Eingang der Deutschen Botschaft, schwanken auch innerhalb des Tages: Diplomaten und Besucher, die am kühlen Morgen kommen, können mit 34 Grad rechnen. Mittags, wenn die Sonne auf den Apparat scheint, misst das Gerät um die 40 Grad.

Also kein Grund zu Besorgnis. Trotz geschlossener Kinos und Internet-Cafés gibt es glücklicherweise derzeit viele Möglichkeiten in Peking, sich zu entspannen und für einen Moment bösen Gedanken über Geschäftseinbußen, verlorene Jobs, ausgefallene Reisen und andere Folgen der Epidemie zu entrinnen. Das geschieht bei traditionellen Freizeitvergnügungen wie Federballspielen, Rückwärtsgehen und Foxtrott-Tanzen auf der Straße.

Populär ist derzeit die abendliche Powerwalk-Polonaise am Ufer des Houhai-Sees im Zentrum Pekings. Jeder kann sich an eine der Gruppen anhängen, die ebenso schnell wie schweigsam im Gänsemarsch auf den verschlungenen Wegen eines winzigen Parks voranschreiten, während die Dunkelheit über den See fällt.

Tagsüber ist Drachensteigen angesagt. Unter den vielfältigen Flugkonstruktionen aus Stoff und Papier, die an diesem Wochenende im Chaoyang-Park in den Himmel stiegen, waren einige mit aufmunternden Zeichen in Chinesisch und Englisch beschriftet: „China Spirit“ und „We shall overcome SARS“.

Die Drachen wurden gratis verteilt, gestiftet von einer Gruppe prominenter Privatunternehmer, Künstler und Zeitungsleute, die mit ihrer Kampagne Trübsinn und Lethargie bekämpfen wollen – „bis wir SARS aus unserem Leben vertrieben haben“, wie die Gruppe in einem „Manifest“ im Internet verkündet. Die chinesische Zivilisation habe „ 5.000 Jahre überdauert“ und „Zeiten von Krieg, Hunger, Krankheit und Naturkatastrophen überstanden“, heißt es in dem Aufruf: „In den vergangenen zwanzig Jahren hat der Geist Chinas uns dabei angeleitet, ein wirtschaftliches Wachstum zu erreichen, das die ganze Welt beeindruckt. Nun wird er uns bei der Überwindung von SARS leiten.“

Die Aktion ist ausnahmsweise mal nicht von der Regierung initiiert worden. Die schickt dafür Künstler der Pekingoper in die Krankenhäuser, damit die das ausgelaugte Personal erfreuen. „SARS kann uns zwar umbringen“, jubelte daraufhin eine Reporterin des Staatsfernsehens, „aber es fördert ganz sicher die Kreativität der Nation!“

JUTTA LIETSCH