nebensachen aus peking: Mit drei Kindern im Ein-Kind-Land
Sehnsucht nach dem Babykontakt
Privilegien zu nutzen, die selbst engsten Freunden und Nachbarn nicht zustehen, führt meist zu nichts Gutem. Wenn es sich dabei auch noch um ein so bedeutendes Privileg wie das Kinderkriegen in beliebiger Zahl handelt, das wir als Ausländer in China genießen, fürchtet man nach der Geburt des dritten Kindes, von Neidern geradezu umgeben zu sein. Waren nicht schon zwei Kinder eine Zumutung im Ein-Kind-Land?
Umso angenehmer sind wir deshalb überrascht, welcher Offenheit und Zuneigung unser Neugeborenes begegnet. Kaum hat es unsere Wohnung in einem Pekinger Neubau verlassen, zieht es wie ein Magnet die Blicke der Hausbewohner auf sich. Die aber gehen nicht mehr grußlos vorbei, sondern tätscheln das Baby, wollen es auf den Arm nehmen und sogleich alles über die Familiensituation erfahren. Offenbar ist die Sehnsucht nach einem Babykontakt bei den Pekingern so groß, dass sie selbst die übliche Distanz zur Ausländerfamilie aufhebt.
Doch Neid ist vorhanden. In echten Freundschaften kommt er zur Sprache: „Ich beneide euch und alle Familien, die mehrere Kinder haben, und hasse die so genannte Familienplanung“, sagt eine Freundin, von der wir gestern noch dachten, dass sie mit einem gut entwickelten Kleinkind und einem ausgefüllten Berufsleben wunschlos glücklich sei. Zumal sie die Ein-Kind-Politik rational bestens begründen kann. Aber diese Politik mag in jeder öffentlichen Diskussion mit Bevölkerungsexperten und Entwicklungspolitikern ihren Bestand gerechtfertigt sehen – im vertrauten Gespräch hält sie Babyblicken selten stand.
Vor allem Chinesinnen, die bereits Mutter waren, wollen dann wieder Mutter sein. Wie Mütter überall auf der Welt bedauern sie, wie schnell die Babyjahre verstrichen seien, sprechen über ihre Versäumnisse bei der Erziehung und was sie alles anders machen würden.
In der neu entstehenden chinesischen Mittelschicht, in der wir leben, aber schmerzen solche Gedanken besonders. Durch das rasante Tempo der Wirtschaftsentwicklung haben sich hier auch die Werte verändert. Waren unsere Nachbarn noch vor ein paar Jahren mit der ersten Couchgarnitur glücklich, denken sie heute viel weiter: an die Ausbildung der Kinder, deren verzweifelter Konkurrenzkampf in den überfüllten Schulen der Hauptstadt sie bedrückt. Weil aber die meisten für ihren sozialen Aufstieg hart arbeiten mussten, fällt ihnen nun auf, wie wenig Zeit sie sich für ihr einziges Kind nehmen konnten. Doch um es besser zu machen, fehlt das zweite Kind.
Die Härte des Gesetzes dürften wohl die meisten Betroffenen im Inneren als zutiefst ungerecht empfinden. Nur gesprochen wird davon nicht. Tatsächlich profitieren wir Ausländer von der Nüchternheit der Chinesen, die ihr Ein-Kind-Leiden nicht an uns auslassen, sondern ihren Staat und seine Masse Menschen dafür verantwortlich halten. Wie sonst könnten sie sich über unser Baby freuen? Was besonders für die Zeit gilt, in der wir Eltern arbeiten. Dann ist das Kleine mit ihrer chinesischen Kinderfrau im Wohnblock unterwegs und wird durch alle Haushalte gereicht. Völlig unverstanden bleibt indes, wenn wir uns für das dritte Kind und unseren Privilegiertenstatus entschuldigen wollen. Anders als viele Worte ist der Babyblick, der uns begleitet, unmissverständlich. GEORG BLUME
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