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Archiv-Artikel

nebensachen aus moskau Ein Toast auf den Bären in der Wodkadespotie

Echter Wertschätzung erfreut sich ein russischer Herrscher erst, wenn das Volk einen Wodka nach ihm benennt. Wladimir Putin war kaum im Amt, da rann das Wässerchen „Putinka“ schon die Kehlen hinab. Auch sowjetische Generalsekretäre erfuhren diese Gunst. Zwar zierte ihr Name nicht den Aufkleber. Doch wusste jeder, wem das Elixier zu verdanken war. Der Staat war schließlich Monopolist. Ein beißender „Wodotschka“ verwandelte sich so in einen zärtlich gepriesenen „Andropowka“. Der neue Kremlchef Dmitri Medwedjew hat noch kein eigenes Label.

Dem hilft die Galerie S.Art mit einem Etiketten-Wettbewerb nun ab. „Russen möchten ihre Herrscher unsterblich machen“, sagt Galerist Petr Wois, und Medwedjew – zu Deutsch: der Bär – lade schlechterdings zum Fabulieren ein. Ob als gutmütiger Mischka oder Symbol der Stärke, aus Russland ist er nicht wegzudenken. Zuletzt erhob die Staatspartei das Tier zum Maskottchen.

60 Künstler folgten dem Aufruf und schufen hundert Kreationen für den „Medwedjewka“. S.Art ist eine der ältesten Galerien in Moskau und noch immer eine gute Adresse für nicht ganz Konformes. Nun hoffen die Galeristen auf den Zuspruch mutiger Wodkaproduzenten.

Der Entwurf „Berloga“ – die Bärenhöhle – bedient sich des Lubok, einer volkstümlichen Holzschnitttechnik, und stammt von dem Künstler und (Wodka-)Designer Wladimir Lubarow: Alt- und Jungbär liegen zusammen im Kremlbett. Der eine schläft, der andere schielt verstohlen. Auf der Bettdecke vergnügt sich en miniature ein sorgloses Volk. „Eine Bärenhöhle hat nicht Platz für zwei“, sagt ein russisches Sprichwort. Wird das Experiment der Doppelherrschaft gutgehen? Dazu passend auch die Installation „schkurka“, „Fell eines noch nicht erlegten Bären“. „Schkura“, das Fell, ist aus „schkurka“ – Sandpapier. Eine raue Jagdsaison prognostiziert die Kunst.

Da empfiehlt sich womöglich ein Sedativum, der „Bärenwodka“, der mit großzügiger Dosierung Linderung verheißt. „Eine Flasche gegen den Wunsch, zu wählen, zwei beim Verlangen, zu demonstrieren.“ Dreimal „100 Gramm“ gegen plötzliche Arbeitswut. Das Gütesiegel vergibt die „Zentrale Wahlkommission“.

Alkoholismus ist in Russland weit verbreitet und volkswirtschaftlich eine Katastrophe. Der Staat als Urquell der Wodkadespotie sitzt in der Zwickmühle. Akzisenrubel fließen, der Bürger ist ruhiggestellt. Sedierte Untertanen eignen sich jedoch nicht für ambitionierte Großprojekte. Das Land säuft sich zu Tode. Des demografischen Desasters nimmt sich der Medwedjewka „nazprojekt“ an, hinter dem sich das „nationale Projekt“ Geburtenförderung verbirgt. Ungestüm treibt es ein Bärenpaar auf weiter Flur. „Drinking before sex“, empfiehlt der Alpha-Bär. Der Staat will beides: Geld und Kinder. Dem hartnäckigen Mythos, Trinkfestigkeit und Manneskraft sei ein und dasselbe, ist so nicht beizukommen.

Die meisten Schöpfer des neuen Bärenwassers datieren die Haltbarkeit auf vier Jahre – bis zu den nächsten Wahlen. Beim noch erhältlichen „Putinka“ ist das Verfallsdatum „unbekannt“.

KLAUS-HELGE DONATH