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nebensachen aus mexiko-stadtDie ganz unverklemmte demokratische Undercover-Massenperformance

„Hitler ist nicht tot“ ist auf dem akkurat gepinselten Transparent zu lesen, „er lebt in Rosario Robles weiter.“ Frau Rosario Robles ist keinesfalls die Begründerin einer mexikanischen Neonazi-Filiale, sondern die charmante Bürgermeisterin von Mexiko-Stadt. Der letzte Satz lautet: „Schluss mit der Todesstrafe für Babies“. Ah so. Besagte Politikerin hatte es vor ein paar Wochen via Gesetzesinitiative gewagt, schwangeren Frauen nun auch legal die Möglichkeit zu eröffnen, über den Fortlauf ihrer Schwangerschaft selber zu entscheiden – immer vorausgesetzt, sie sind vorher vergewaltigt oder ohne „ohne Einwilligung künstlich befruchtet“ worden, ihr Leben ist in Gefahr oder der Fötus schwerstgeschädigt. Seither gilt sie den hier Versammelten als Serienkillerin.

Die gut gelaunte Menge hat sich am Mutterdenkmal versammelt, dem wohl grässlichsten aller realmexikanischen Kunstwerke: Eine brutale Riesenmama stiert in den Himmel, in den Händen hält sie ihren steinernen Sprössling vor sich her. Es sind keine verbiesterten Kirchgänger, graumelierten Mittfünfziger oder sonstwie verklemmte Menschenkinder. Dafür auffallend viele junge Frauen, allesamt leger gekleidet und recht hübsch anzusehen. Diverse Lkws sind liebevoll mit Sonnenblumen und bunten Luftballons geschmückt, freundliche Mädchen verteilen Flugblätter mit der Jungfrau Maria, Nationalfähnchen wehen im Winde.

Auch die beiden jungen Männer, die das eingangs erwähnte Schriftstück in die Höhe halten, machen den Eindruck, als seien sie ein paar Jahre zur Schule gegangen. Ob sie denn eine vage Vorstellung hätten, wer Herr Hitler gewesen sei? Na klar, blinzeln sie kampflustig. Juden morden wäre doch ungefähr dasselbe wie Babys killen. Überhaupt habe man sich als blasser Blondschopf nicht in die inneren Angelegenheiten des Landes zu mischen, sekundiert eine ältere Dame. Die Deutschen, das sei schließlich bekannt, seien ohnehin alle Rassisten.

Zur Abschlusskundgebung tragen prallschwangere Mädchen, stotternde Doch-noch-Mütter und Adoptivtöchter kleine Hymnen aufs Leben schlechthin, auf die Mysterien der Empfängnis oder auf die der Adoption vor. Zu guter Letzt streut ein freudestrahlendes Hare-Krishna-Pärchen, ganz in orangerote Tücher gehüllt, mit sanfter Stimme brüderliche Botschaften, aber auch unverhohlene Drohungen: „Töte, und du wirst getötet werden.“ Spätestens da fällt bei mir der Groschen. Im Theaterland Mexiko ist ja vor kurzem die Demokratie ausgebrochen. Wir erleben ganz eindeutig eine Undercover-Performance, flüstere ich einer Kollegin ins Ohr, demokratisch und massenhaft. Und wenn nicht?, raunt sie zurück. Tja, sage ich und bin für eine kleine Weile still. Dann ist das wohl auch die famose Zivilgesellschaft.

ANNE HUFFSCHMID

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