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Archiv-Artikel

nebensachen aus madrid Gegen das mörderische Rodeo auf Spaniens Straßen hilft kein Strafgesetzbuch

Unfreundlicher geht es nicht. Die meisten spanischen Autofahrer fahren prinzipiell weiter, wenn sie an einer Panne vorbeikommen. Und lernfähig ist der Iberer auf vier Rädern auch nicht. Je mehr Strafzettel er bekommt, umso schlechter fährt er. Parken in doppelter Reihe, auf Behindertenstellplätzen oder Busspuren ist ebenso an der Tagesordnung wie das Nichtbeachten der Fußgängerüberwege oder der roten Ampel. Jeder Vierte sieht solches Verhalten als normal an.Während weit über 90 Prozent Sexualdelikte oder Mord als „sehr schlimme Delikte“ einordnen, tun dies nur 74 Prozent bei gefährlichem Verhalten im Verkehr. Lediglich 65 Prozent halten es für ein Vergehen, sich der Alkohol- oder Drogenprobe zu widersetzen. Nur beim Selbstbewusstsein schlägt Spaniens Fahrer so schnell keiner. 91,7 Prozent glauben, sie seien soziale Fahrer, ergab eine Umfrage der Universität Valencia.

Diese Einstellung zeigt sich in der Unfallstatistik. 4.104 Menschen verloren 2006 ihr Leben auf Spaniens Straßen. Umgerechnet auf die Einwohnerzahl schneiden nur Portugal und Griechenland schlechter ab. Vor jedem langen Wochenende oder der Urlaubssaison strahlt das Fernsehen Spots der Verkehrswacht aus. Doch die Zahl der Todesopfer ist jedes Wochenende zweistellig. Mehr als 20 Jahre nach Einführung der Anschnallpflicht war jeder dritte Unfalltote ohne Gurt unterwegs. An knapp einem Drittel der tödlichen Unfälle ist überhöhte Geschwindigkeit schuld. Zudem schaut keiner in Europa so gern tief ins Glas, bevor er in den Wagen steigt, wie der Spanier. Bei knapp 30 Prozent der tödlichen Unfälle war Alkohol mit am Steuer.

Die Behörden sind ratlos. Vor gut einem Jahr wurde der Punkteführerschein eingeführt. Es nützte nichts. Im Sommer 2007 starben mehr Menschen im Straßenverkehr als vorher. Jetzt hat das Parlament ein Gesetz verabschiedet, dass die Strafen verschärft. Für Alkohol und Drogen am Steuer sowie für gefährliches und zu schnelles Fahren kann es künftig Haftstrafen geben. Doch das wird die Unfallstatistik kaum beeinflussen. Denn um vor den Richter zu kommen, muss der Betroffene in der Stadt mit mehr als Tempo 90 geblitzt worden sein, auf der Landstraße mit mehr als 169 statt 100, und auf der Autobahn muss der Tacho statt 120 mindestens 190 zeigen. Darunter gibt es nur eine Geldbuße. Radarfrühwarngeräte werden überall angepriesen. Sie dürften diese Weihnachten zu den begehrtesten Geschenken gehören.

Am meisten zu tun hat die Polizei in Ballungsgebieten. Denn hier wohnt der Umfrage der Uni Valencia zufolge der größte Feind des zivilisierten Fahrens, die Eile. 176 Millionen Strafzettel stellen die Beamten in Madrid jährlich aus. Kontrolliert wird die Höchstgeschwindigkeit im weiten Tunnelnetz der Stadt und das Falschparken. Denn dieses „Kavaliersdelikt“ bringt die Hauptstadt zum Kollabieren. Überall stehen Autos in zweiter oder gar dritter Reihe. Aus breiten Boulevards wird so schnell ein Nadelöhr.

Madrids Fahrer sind nach der Studie mit am unsozialsten in ganz Spanien. So mancher Kommunalpolitiker unterstützt das fehlende Sozialverhalten in der Hoffnung auf Wählerstimmen. So machen Kommunisten und Sozialisten in Madrid gegen den konservativen Bürgermeister mit der Verkehrspolitik Opposition. Die verstärkte Kontrolle im Verkehr sei eine neue Art, die Bürger per Strafzettel zu schröpfen, und müsse deshalb gelockert werden. REINER WANDLER