nebensachen aus istanbul: Wenn Nationalhelden auf ihren Kontostand gucken
Kapitalismus vs. türkische Seele
Noch keine drei Wochen ist es her, da wurde der Mann auf Händen getragen – nicht nur bildlich, sondern buchstäblich. Als Istanbul Galatasaray am 17. Mai in Kopenhagen gegen Arsenal London gewann und erstmals in der Geschichte des türkischen Fußballs Uefa-Cup-Sieger wurde, war Fatih Terim, der Trainer von Galatasaray, der Mann der Stunde. Ohne Zweifel war er der „Vater des Sieges“ – die Türkei lag ihm zu Füßen.
In einer direkten Wahl hätte der am 14. September 1953 in Adana geborene Fatih Terim ohne weiteres Staatspräsident werden können. Der Sieg in Kopenhagen hatte für die türkische Gesellschaft eine Bedeutung weit über den Fußball hinaus. Wie der Sieg Deutschlands bei der Fußballweltmeisterschaft 1954 war der Sieg Galatasarays der Beweis, endlich in den Kreis der anerkannten europäischen Nationen zurück- beziehungsweise erstmals überhaupt aufgerückt zu sein.
Es war Balsam auf die Wunden, die vermeintliche jahrelange Demütigungen hinterlassen hatten, und die beste Medizin gegen den Minderwertigkeitskomplex, die die Türkei sich selbst seit langem verabreicht hatte. Tagelang jubelten die Gazetten: Weiter so Fatih Terim! Vorwärts Galatasaray! Mit euch wird die Türkei siegen!
Die kalte Dusche kam vor wenigen Tagen. Ohne lange Diskussionen, die Öffentlichkeit bekam kaum etwas davon mit, gab Fatih Terim kurz und bündig bekannt, er habe einen Vertrag in Florenz unterschrieben. Der Erfolgscoach von Galatasaray soll den darniederliegenden Klub der Florentiner auf die Siegerstraße bringen. Vermutlich wird er auch noch Hakan Sükür mitnehmen, den Starstürmer von Galatasaray. Die Nachricht war ein Schock. Nicht die Türkei, sondern das Scheckbuch hatte den Sieg davongetragen. In all der nationalen Aufwallung nach dem großen Sieg hatten die meisten begeisterten Fans einfach verdrängt, dass Galatasaray zwar sportlich sehr erfolgreich, wirtschaftlich dagegen desaströs geführt worden war. Der Verein ist chronisch pleite, angeblich sind die Gewinne an der Börse verspekuliert worden. Seit Monaten werden die Profis nicht mehr vertragsgerecht bezahlt, der Verein muss seine besten Spieler verkaufen, um seine Schulden abtragen zu können.
Ein, zwei Tage lang wurde in den patriotischen Zeitungen darüber spekuliert, ob nicht der Staat die Schulden von Galatasaray übernehmen könne, dann siegte der Rationalismus des Kapitals. Galatasaray ist eben keine Unterabteilung des türkischen Außenministeriums, sondern ein Privatunternehmen, das mit anderen privaten Fußballklubs in Konkurrenz steht, die gegen solche Pläne deshalb heftig protestierten. Mit Erfolg.
Fatih Terim hat es sicher genossen, für einige Wochen die Ikone der Nation zu sein. Aber eben: für einige Wochen. Dann hat er dann doch wieder an sein Konto denken müssen – und kurz entschlossen in Florenz unterschrieben. Da half auch ein Appell der Anap-Parlamentsfraktion nichts, die Terim einlud, um ihn zum Bleiben zu bewegen. Ohne Erfolg.
Auch in Italien ist der Wechsel nicht unbemerkt: Nach dem Chef der kurdischen PKK, Abdullah Öcalan, der sich ja zeitweilig auch in Italien niedergelassen hatte, hat kein Mann aus der Türkei mehr für so viel Aufsehen bei den Tifosis gesorgt.
Es sei doch, sagte Terim zum Abschluss der Pressekonferenz, bei der er seinen Abgang verkündete, für die Türkei auch eine Ehre, dass zum ersten Mal ein türkischer Trainer ins Ausland geht und nicht Trainer aus dem Ausland zu uns kommen.
So gesehen, tut selbst sein Abgang der türkischen Seele noch gut. JÜRGEN GOTTSCHLICH
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