nebensachen aus helsinki : Geselliges Kampftrinken im Karaoke-Taxi
Eine gesunde Selbsteinschätzung haben sie ja, die Finnen. „Wir sind total verrückt“, sagt ein junger Mann in Helsinki. Gemeinsam mit einigen Freunden geht er an diesem Abend einer der Lieblingsbeschäftigungen der Nordländer nach – dem „Humala Juominen“, was bedeutet, sich gezielt bis zur Besinnungslosigkeit zu betrinken. Das Ganze findet statt in einem Ravintola (Restaurant), was den Fremdling vor eine vergleichsweise kleine Herausforderung stellt angesichts von Worten, die mitunter mehr als 20 Buchstaben haben.
Auch was das Transportwesen angeht, sind die Finnen innovativ. So macht ein Pub auf Schienen Helsinki unsicher. In der knallroten Straßenbahn haben die Fahrgäste 40 Minuten Zeit, um sich mit Bier volllaufen zu lassen, was einige Sehenswürdigkeiten in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen dürfte.
Die Tatsache, dass die Finnen nicht nur trinkfest, sondern auch totale Karaoke-Fans sind, ließ ein Helsinkier Taxiunternehmen auf eine Idee verfallen: ein Karaoke-Taxi, das gleichzeitig die ungezügelte Sanges- und Trinklust befriedigt, und das zum normalen Taxentarif von 1,62 Euro pro Kilometer. Mittlerweile ist der findige Unternehmer mit fünf Fahrzeugen unterwegs, Kleinbussen mit je zehn Plätzen. In Kürze wird auch noch ein Modell mit 16 Plätzen buchbar sein – übers Internet und selbstverständlich rund um die Uhr.
Kaj Peter Hindström bringt alle Voraussetzungen mit, um grölende Kleingruppen sicher durch die finnische Hauptstadt zu kutschieren: eine jahrelange Berufserfahrung als Bus- und später Taxifahrer und einem Faible für Karaoke. Ein gewisses Maß an Leidensfähigkeit gehört bei diesem Hobby dazu. „Natürlich können die meisten nicht singen, aber darauf kommt es bei Karaoke nicht an“, sagt er. Hindström hasst finnische Lieder, die, so bedauert er, aber fast die Hälfte des tausend Songs umfassenden Angebots ausmachen.
Mehrere Mitfahrer haben es sich im Taxi bereits bequem gemacht – ausgerüstet mit einem „Dackel“ – zwölf Flaschen Bier, der finnischen Variante des Sixpacks. Kaum ist das Taxi gestartet, wird eine Flasche Wodka herumgereicht. Ein finnischer Senior wünscht sich ein Lied in seiner Muttersprache und ergreift eins der drei Mikrofone. Lindström, neben sich ein altertümlich anmutendes Mischpult, fingert nach der passenden CD – Computer sind in Fahrzeugen verboten. Derweil kreist die Wodkaflasche weiter – ein Segen, da der Senior, den Blick starr auf einen der beiden Monitore mit dem Liedtext geheftet, penetrant gut eine Oktave unter der Melodie liegt.
Schon kommt die nächste Ansage – „Country Road“ von John Denver. Blitzschnell angelt sich Hindström den Tonträger, wobei ihm eine rote Ampel zu einer kurzen Pause verhilft. Auch bei diesem Lied könnte der Vortragende an seiner Darbietung noch etwas arbeiten.
Hindströms skurrilstes Erlebnis? Acht Geschäftsleute, die ihn vor Kurzem für fünf Tage für eine Fahrt nach Hammerfest in Norwegen gebucht hätten – Kostenpunkt 8.000 Euro. Doch immerhin sei ihnen nicht schlecht geworden, was manchmal auch passiere. Auch auf dieser Fahrt bleibt dem Taxifahrer zumindest das erspart. BARBARA OERTEL