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Archiv-Artikel

nebensachen aus el alto Die Kirchen des Padre Obermaier

Gleichgültig, ob man sich El Alto auf dem Land- oder Luftweg nähert: Unübersehbar ragen Dutzende schlanke, leuchtend weiße Kirchtürme aus dem rot-braunen Häusermeer der 800.000-Einwohner-Stadt auf der bolivianischen Hochebene heraus. In der Nähe eines überdimensionierten Zwiebelturms steht eine Kirche mit russisch anmutenden Zwillingstürmen.

„Viele werfen mir vor, das sei Kitsch, unseriös“, sagt Sebastian Obermaier. Der Priester aus dem oberbayerischen Rosenheim, der seit 27 Jahren in El Alto wirkt, ist der Erfinder und Chefarchitekt der eklektischen Bauwerke. „Die Kirchen sind eine Kombination aus meiner Architektur und dem Geschmack der Arbeiter“, behauptet der 70-Jährige mit den roten Backen und dem schlohweißen Haarschopf.

In einer Ecke seines Pfarrbüros stapeln sich die Baupläne. „Ich bin das Baubüro“, sagt Obermeier, als wäre es das Normalste auf der Welt. Spendengelder aus Deutschland sollen es auch weiterhin ermöglichen, dass jeweils 10.000 Katholiken ein Gotteshaus bekommen, denn: „Die pastorale Wirkung eines Kirchenraumes ist immens.“ Die mehrfarbig verzierten Türme seien wichtig, um die Kirchen sichtbar zu machen und in der Boomtown bei La Paz Identität herzustellen. In den letzten 20 Jahren hat sich die Einwohnerzahl von El Alto verzehnfacht, nicht nur Obermaier spricht von einer „sozialen Zeitbombe“. Im Viertel Villa Tejada vergleicht er zusammen mit Vorarbeiter Fausto Condori und Maler Fabián Limachi seine Pläne und Skizzen mit dem Rohbau. Besonders kritisch nimmt er die Kirchturmbemalung unter die Lupe. Grün, Hell- und Dunkelblau, Grau, Ocker, Rosa – „das ist zu viel, da muss mehr Klarheit her“, sagt der Priester bestimmt und hält die Korrekturen in seinem Notizbuch fest.

Wenn man ihn nach den Alteños fragt, gerät Obermaier zum einzigen Mal ins Schwärmen: „Die Aymaras sind tüchtige Bauern, harte Leute, die durch die Kälte geformt sind. Sie sind stark und kampfeswillig, ihnen gehört die Zukunft. Für die Aymaras bedeutet der Tod nicht Zerstörung, sondern für sie ist er ein Lebensvorgang. Das ist viel katholischer als die Haltung, die in den reichen Ländern vorherrscht.“

Über die aktuellen Konflikte äußert er sich zurückhaltend: „Die Wasserversorgung, das ist kompliziert, da kann man sich schnell irren.“ Die eigentliche Ursache für Generalstreiks und Straßenblockaden, die die letzten beiden bolivianischen Präsidenten zu Fall gebracht haben, sei die große Armut in El Alto.

Dass Obermaier während der letzten Amtszeit von Exdiktator Hugo Banzer bis 2002 Sonderbeauftragter mit Ministerrang war, halten ihm Basisktivisten heute noch vor. „Als Stadtplaner hat er versagt“, sagt Abel Mamani, der Vorsitzende der Stadtteilkomitees von El Alto. „Wohin damals die Millionen flossen, das fragen wir uns immer noch.“ Banzers Nachfolger Jorge Quiroga bezeichnet Obermaier dagegen als Vaterfigur. Bürgermeister José Luis Paredes lobt das „positive Denken“ des nimmermüden Wahlbolivianers, der von seiner Pfarrei „Corpus Christi“ aus (der mit dem oberbayerischen Zwiebelturm) auch seit ein paar Monaten den Fernsehsender „Jungfrau von Copacabana“ betreibt.

Als wir von der Baustelle ins Pfarrbüro zurückkommen, wartet eine große Delegation aus einem Nachbardorf auf Padre Obermaier. Ihr Anliegen: eine neue Kirche. GERHARD DILGER