nebensachen aus buenos aires : Tango tanzen zur Rettung der Ehre
Wenn es um die Ehre der Hauptstadt geht, dann können die Dinge erstaunlich schnell passieren. Bevor er sich am Freitag vorvergangener Woche vor dem Stadtparlament für die Brandkatastrophe in einer Diskothek verantworten musste, bei der Ende Dezember über 180 Jugendliche ums Leben kamen, unterzeichnete der Bürgermeister von Buenos Aires noch ein Dekret. Ab vorvergangenem Wochenende, so verfügte Aníbal Ibarra, dürfen die über 60 Tangolokale Milongas der Stadt wieder zum Tanz öffnen. Zuvor hatte er per Dekret 2462/2004 verfügt: Tanzen verboten. Diskotheken, Konzerthallen und Tangolokale blieben geschlossen, weil ihre Sicherheitsmaßnahmen ungenügend seien.
Ein trister argentinischer Sommer drohte Buenos Aires. Während sich die Mehrheit der Hauptstadtbewohner an den überfüllten Stränden der Atlantikküste drängte, konnten die zu Hause Gebliebenen kaum ausgehen. Das Informationsportal „Parakultural“ spulte auf seinem Anrufbeantworter eine düstere Ansage ab: „Fast alle Milongas von Buenos Aires sind geschlossen.“ In dem Salon La Viruta im Stadtteil Palermo war Tanzen zwar verboten, Tangoklassen aber waren erlaubt, was den Schülern nicht wirklich schmeichelte.
Doch findige Milonga-Unternehmer fanden schnell heraus: Ursprünglich war in Ibarras Dekret von „Tanzlokalen“ jeglicher Art die Rede. Doch die Tangolokal-Besitzer wandten ein, „Milongas sind keine Orte mit hohem Risko.“ Die Codes der Tangotänzer würden Schlimmes verhindern. So wird beim Tango nicht gehüpft, gekifft oder gesoffen. Es geht sittlich zu, das Licht ist meist sehr hell und man fasst Fremde Menschen nur beim Tanzen an.
Bürgermeister Ibarra war überzeugt. Solch gutes Benehmen verhindert Unfälle. Aber es ist auch endlich klar, dass Tango in Buenos Aires mehr ist als nur Leid und Leidenschaft. Es ist vor allem eine Verwaltungsangelegenheit. So bleiben die Milongas der „Klasse C“ trotz Dekret und Gegendekret geschlossen. Aber Tango ist doch mehr als ein bürokratischer Vorgang in Buenos Aires. Er ist vor allem eine Verpflichtung für die Tangohauptstadt. Ein Gesetz mit der Nummer 130 deklariert den Tango als städtisches Kulturgut und verpflichtet den Staat, ihn zu pflegen und zu verbreiten, was mit geschlossenen Milongas schwierig wäre.
Schließlich startet am 25. Februar das Tanzfestival „Buenos Aires Tango“. Die Stadtregierung bereitet eine Homage für den Pianisten Osvaldo Pugliese vor, der 2005 hundert Jahre alt geworden wäre. Pugliese musste schon früh lernen, dass Tangoauftritte nicht immer ungefährlich sind. Der Kommunist trug bei seinen Auftritten nicht selten seinen Schlafanzug unter dem Frack, weil er mehr als einmal von der Bühne weg verhaftet wurde. Wenn er im Gefängnis saß und sein Orchester aufspielte, lag an seinem Platz am Piano eine rote Rose, um auf seine Abwesenheit hinzuweisen.
INGO MALCHER